wohninsider Juni-Juli 2022

03. 2022 | Juni/Juli |wohninsider.at 137 AM POINT OF SALE Foto: © Kandut WALTER KANDUT SALONE DEL MOBILE – IMMER JUNG! Der 60. Geburtstag der Möbelmesse in Mailand wurde gebührend gefeiert und war und ist das Highlight unserer Branche in diesem Jahr. Es war aber auch ein Déjà-vu – mehr oder weniger eine Fortführung einer Messe aus einer Zeit vor der Pandemie. Es hat den Anschein einer „drei Jahre Kopf in den Sand“ Taktik und wir machen dort weiter wo wir vor Jahren stehengeblieben sind. Die Verschiebung von April auf Juni hat auch zusätzlich zum Erfolg beigetragen. Obwohl eine Messe mit 30°C Außentemperatur und mehr, vor allem in der Stadt Mailand, schon an der Erträglichkeitsschwelle kratzt. Eine riesengroße Party Es hat sich also nichts verändert, die Messestände waren perfekt bis ins letzte Detail inszeniert und mit enormen Aufwand hingestellt, wie in der Blütezeit des Möbel-Kapitalismus. Der Tupfen auf dem i ist die perfekte Abstimmung mit der Stadt Mailand, den dort ansässigen Möbelstudios, den Zusatzveranstaltungen wie der Design Week und mehr. Man kann sagen, die Messe Mailand ist nach wie vor eine riesengroße Party, ein Event das Seinesgleichen sucht. Wie in alten Zeiten war die Begehrlichkeit nach diesen Einladungen sehr vom Namen und Beziehungen abhängig. Das Produkt „Möbel“ war leider sehr oft unwichtig. Ich frage mich deshalb warum werden Millionen für eine perfekte Präsentation (und das können die italienischen Hersteller) ausgegeben wenn das nicht der Grund für einen Besuch ist. Es spielen „andere“ Werte eine wesentlich größere Rolle, das sollten wir für unser Business auch berücksichtigen. Reine Inszenierung Mein gefühlsmäßiger Gesamteindruck der Messe war etwas zurückhaltender gegenüber vor der Pandemie, aber nach wie vor auf die Vermarktung der Marke und sich ins beste Licht stellen ausgerichtet. Ganz nach dem Ergebnis einer kürzlich veröffentlichte Studie, dass bei vergleichbaren Produkten 75 % der Käufer:innen auf die jeweils bekanntere Marke setzen. Man setzte nach wie vor auf ein alt bewährtes Mailänder Konzept das auf eine reine Inszenierung ausgelegt ist und nach außen hin ohne nennenswerte und sichtbare Produktinnovationen. Die gab es sehr im Verborgenen und nur auf dem zweiten oder dritten Blick. Details die aber für die Gesamtwirkung eines Produktes wichtig sind. Kleine Veränderungen also. Tonangebende italienische Hersteller haben sich ausschließlich auf den Schauraum in der Stadt konzentriert und das Messegelände nicht bespielt. Diese Lokalitäten wurden herausgeputzt und werden für viele ein Vorbild sein. Auffällig war aber auch, dass vor allem jene international bekannten Marken, die das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie auf ihre Fahnen gesetzt haben, auf die Messe gänzlich verzichtet haben, das ist auch bezeichnend. Das Thema Nachhaltigkeit wurde zwar stark medial vermarktet, ist aber bei den meisten Ausstellern (noch) nicht angekommen. Jungdesigner:innen oder sogenannten „Alternativen“ eine Plattform für Zukunftsprodukte in den Hallen 1-3 zu geben ist lobenswert, bringt uns aber zu langsam weiter. Dieses Thema muss bei allen bekannten Marken schon jetzt in die Produktion implementiert werden. Wir werden um eine tiefgreifende schnelle Veränderung nicht herumkommen, das lässt sich nicht verdrängen, schon gar nicht wenn man den Kopf in den Sand steckt. Einen Messestand geschickt mit Grünpflanzen auszustatten ist edel und eine Wohltat fürs Auge, aber noch lange keine Veränderung Richtung Zukunft. Es herrscht nach wie vor der breite Tenor „wir ändern uns wenn es unsere Kundschaft will“ – wo bleibt hier die notwendige Vision einer „besseren und klimagerechten“ Zukunft. Neue intelligente Materialen sind extrem wichtig aber sehr oft nur MarketingSchmäh und lösen das Problem nicht von Grund auf. Auf der anderen Seite bin ich mir sicher, wenn wir uns radikal umstellen müssen, dann sind zumindest die hochwertigen Marken-Hersteller die schnellsten die sich einer veränderten Gegebenheit anpassen können. Dann sind wir allerdings nur Reagierende, viel besser wäre es wenn wir die Zukunft mitbestimmen also agieren. Ökologisierung zu wenig sichtbar Unser zwingend notwendiges Engagement für mehr Ökologisierung sowie für schnellen Ersatz der Erdölprodukte (Lacke, Kleber, Schaum, Polyester, Stoffe etc.) war einfach für mich viel zu wenig sichtbar. Da sind noch viele kluge und kreative Köpfe gefordert. Nicht nur auf der Produktebene, vor allem auch im Standbau. Anscheinend sind wir in einem nicht lösbaren Kreislauf gefangen, den wir nicht auflösen können oder wollen. Die Herausforderung für die Zukunft einer Messe, des Veranstaltungsteams, wird der Wille zur Veränderung sein, um nicht von der Realität überrollt zu werden. Vor allem ressourcenschonender oder wiederverwertbarer Messebau sieht anders aus. Die meisten Messestände wurden mit enormem Aufwand gebaut, edelste Materialien wurden verwendet und trotzdem landen sie nach ein paar Tagen Benutzung in der Müllverbrennung, zum Glück nicht auf irgend einer Deponie in Afrika oder Asien. Brancheninsider aus Event- und Messebau, die solche aufwendigen Messestände bauen, haben mir bestätigt, dass der allergrößte Teil nicht wiederverwertet wird, sondern aus Kostengründen einfach tonnenweise auf Frachtzüge gekarrt wird und zu vielen Müllverbrennungen, auch nördlich der Alpen, einer thermischen Verwertung zugeführt wird. Eine gigantische Geld und Ressourcen Vernichtung die ehrlich gesagt nicht mehr zeitgemäß ist. Es gab nur ganz wenige Hersteller die ein wiederverwertbares System angewendet oder statt Spanplattenwände Stofffahnen als Abgrenzung verwendet haben. Schade, man hat jetzt mehr als zwei Jahre Zeit gehabt, eine geeignetes Konzept zu entwickeln. Verharren wir nicht in der Vergangenheit sondern zeigen wir Mut zur Veränderung damit so eine begrüßenswerte und wichtige Veranstaltung in Zukunft ohne negativen Beigeschmack möglich ist. www.agentur-kandut.at Walter Kandut betreibt gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth die „agentur für wohnen und mehr“ in Wien. Seine Handelsagentur mit Schwerpunkt auf Service und Kompetenz für den exklusiven Möbel- und Objektfachhandel baut auf über 30-jährige Erfahrung im Verkauf und als Agentur.

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