06. 2023 | Dezember/Jänner | wohninsider.at 113 AM POINT OF SALE Foto: © Kandut WALTER KANDUT STEUERN WIR AUF EIN MESSEMONOPOL ZU? Die Zeit nach Corona hat begonnen. Die Rückkehr zu „normalen“ Zeiten steht bei vielen im Vordergrund. Genau in dieser Phase erwischt es jetzt unsere Branche am linken Fuß. Die letzten drei Jahre waren für die meisten außergewöhnlich, quasi ein Schlaraffenland, trotz massiver Preissteigerungen. Diese Zeit ist jetzt vorbei, der „normale“ Alltag ist zurückgekehrt, ob wir es wahr haben wollen oder nicht. Der Möbeleinzelhandel ist weitgehend der Verlierer dieser Zeit. Ein Minus von 27 % in den ersten sechs Monaten (Quelle ORF) ist schon eine Herausforderung, besonders für den Massenbereich. In der obersten Spitze der Käuferschicht war erst ab dem Sommer ein leichter Rückgang spürbar. Die Premiumliga kommt bis dato also noch halbwegs glimpflich davon. Vor allem im Planungsbereich (Gesamtkonzepte) wo wegen der langen Vorlaufzeit keine bis wenig Rückgänge zu spüren sind. Die allerorts fehlende oder stark reduzierte Frequenz (im Vergleich zu Vor-Corona) wirft aber seine Schatten schon voraus. Defacto haben alle, die auf einen ständigen neuen Kundenstrom angewiesen sind, jetzt ein riesengroßes Problem. In so einer Phase entwickelt sich zurzeit eine regelrechte Schlammschlacht in der internationalen Messeszene. Als nächste große Möbelmesse steht nach längerer Pause die imm cologne in Köln am Programm. Diese Messe ist noch in der Findungsphase für ein ideales, internationales Konzept. Das nutzt ein Großteil der italienischen Möbelindustrie aus und boykottiert die kommende Veranstaltung in Köln. Gleichzeitig wird den deutschen Herstellern das Leben möglichst schwer gemacht, um an der Möbelmesse in Mailand teilzunehmen. Soweit so gut, ein üblicher Vorgang um den „Anderen“, der eh schon am Boden liegt, nicht mehr hochkommen zu lassen. Aber ist das auch im Sinne des Möbelhandels, zumindest der oberen 20 Prozent? Der Rest arbeitet inzwischen schon außerhalb des Messegeschehens. Durch den überschaubaren Marktanteil braucht es anscheinend keine Vielfalt. Es zählt nur die Marke, nicht die Diversität der unterschiedlichen Player. Wenn das internationale Messegeschäft nur auf einem Standort, überwiegend mit der regionalen Industrie stattfindet, entsteht ein quasi Monopol. Wenn es Mailand sein soll, dann wird nur „Italien“ im Vordergrund stehen. Was ist dann mit der deutschen Industrie, was ist mit den Skandinavischen Herstellern, den Holländischen, den Belgischen usw.? Um einen guten gesamten Überblick über die Innovationskraft der Möbelindustrie zu erhalten, muss man dann in Zukunft als „freier“ Möbelhändler nach Valencia, nach Kopenhagen, nach Köln, nach Mailand und vielleicht noch zu anderen „regionalen“ Messen pilgern? Wer hat schon diese Zeit dafür, zumal es durch fehlendes Personal immer enger wird. Welche Alternativen haben wir dann, die Reduktion auf reine Marken-Stores? Durch Corona haben sich auch die Hausmessen oder persönliche Einladungen in den Betriebsschauraum still und heimlich ausgebreitet. Ist das die Richtung, in die es geht? Für einen Teil des Handels mag dies die Zukunft sein, aber wir haben nicht so viele bekannte „Marken“, die für alle ein Überleben sichern können. Es gibt daneben immer noch unzählige kleine innovative Hersteller, die von einer breiten Händlerstruktur leben. Die haben nicht die Möglichkeiten der großen Marken, die sind auch auf grenzübergreifende Messen angewiesen. Oder findet zukünftig alles vermehrt nur mehr virtuell statt? Wenn wir ein Monopol zulassen, dann könnten viele kreative DesignerInnen verschwinden, die bis dato bei den kleineren Herstellern eine gute Möglichkeit hatten, sich zu präsentieren. Der Einheitsbrei wird dann noch stärker sichtbar sein. Wenn nur die „Star-DesignerInnen“ für wenige Große die Produkte entwickeln, entsteht eine Art Inzucht und die Buntheit geht langsam verloren. Viele der Neuentwicklungen kamen von jungen Unbekannten, die dann sehr oft von den Stars vereinnahmt wurden. Als ungebundene Möbelhändler hätten wir es als Messebesucher in der Hand, welche Messen bestehen oder gestärkt werden. Wenn wir als Schwarm (nach den gleichnamigen Buch von Frank Schätzing) agieren würden, sind wir eine bedeutende Macht. Das ist leider eine Utopie, die nicht stattfinden wird, wenn ich auf andere gesellschaftliche Herausforderungen wie zum Beispiel den Umweltschutz sehe. Mehr oder weniger warten sehr viele bis die „anderen“ mit den notwendigen Veränderungen beginnen. Also nimmt man den Untergang in Kauf und beschwert sich lieber darüber, dass keiner handelt. Viel besser wäre es: „Fang nie an aufzuhören, hör nie auf anzufangen.“ (Marcus Tullius Cicero) Stärken wir mit dem Besuch die Möbelmesse Köln 2024, auch wenn es (noch) nicht eine Messe nach altem Stil sein wird. Tragen wir das Wagnis mit, dass auch die Veranstalter und Aussteller haben. Schauen wir uns ein neues Konzept an, das konträr zu den abgeschotteten Messeständen ist, wo von außen keiner rein sieht und nur die „Erlesenen“ einen Blick in die Ausstellung machen dürfen. Wozu gehe ich dann auf eine Messe, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, alle Aussteller sehen zu können? Die imm cologne wird ein Versuch eines offenen Konzeptes werden, wo eindeutig das Möbel, das Produkt im Vordergrund stehen wird. Lassen Sie sich überraschen! Ein Urteil sollte erst danach gefällt werden, ohne schlechtes Gewissen einen Zeitfresser gehabt zu haben. Die italienische Möbelindustrie ist nicht der alleinige Player auf der Welt, es gibt auch genügend andere. Allen LeserInnen wünsche ich eine schöne Weihnachtszeit und alles Gute im neuen Jahr. Ich kann meinen Leitgedanken aus den Vorjahr für 2024 nur wiederholen: "Wer das Ziel kennt, kann entscheiden. Wer entscheidet, findet Ruhe. Wer Ruhe findet, ist sicher. Wer sicher ist, kann überlegen. Wer überlegt, kann verbessern." (Konfuzius) www.agentur-kandut.at Walter Kandut betreibt gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth die „agentur für wohnen und mehr“ in Wien.
RkJQdWJsaXNoZXIy NDA0NA==