06.2025 | Dezember/Jänner | wohninsider.at 89 BETRACHTET MIT NINA SCHULMEISTER Foto: Dipl.-BW Nina Schulmeister, MA MA WENN GLÜCK GERADE IM ANGEBOT IST Liebe Leser, Liebe Kollegen, es ist Ende November und die Welt befindet sich im Fieber: im „Rabatt-Fieber“, das seit Jahren so zuverlässig zurückkehrt wie der erste Advent. Black Friday. Cyber Monday. Pre-Christmas Sale. Überall blinkende Prozentzeichen, die uns suggerieren, dass Glück, Wärme und Frieden gerade besonders günstig zu haben sind. Dass alles seinen Preis hat – sogar das, was eigentlich unbezahlbar ist. Und mitten drin: wir. Kaum eine Branche verkauft das Persönlichste, das man besitzen kann – wir tun es. Unser Produkt ist die Bühne, auf der das Leben unserer Kunden stattfindet. Doch ausgerechnet jetzt, in der stillsten Zeit des Jahres, verwandeln wir dieses Zuhause in ein Schlachtfeld aus Preisaktionen, Lieferfristen und künstlicher Dringlichkeit. Weißt du noch, warum du Möbel verkaufst? Kannst du die Bedeutung eines Sofas, eines Bettes, eines Tisches noch spüren? Oder siehst du längst nur noch Kennzahlen, Margen und Gewinnspannen? Weihnachten – einst das Fest der Wärme – ist im Handel längst zum Fest der Nerven geworden. Während die Städte im Lichterglanz baden, sitzen viele von uns an Bildschirmen, starren auf Tabellen und überlegen, wie man die Zahlen von Rot auf Schwarz umfärben kann. Während Kunden, das „perfekte Wohnzimmer“ für die Familie inszenieren möchten, jonglieren Verkäufer zwischen Lieferzeiten, Reklamationen und Sätzen wie: „Das müsste eigentlich noch vor Weihnachten gehen… vielleicht… wenn…“ Die Branche ist erschöpft. Und sie traut sich kaum, es auszusprechen. Das Weihnachtsgeschäft hat sich verändert. Nicht, weil Menschen keine Möbel mehr wollen, sondern weil wir ihnen eingeredet haben, dass alles immer billiger möglich ist. Dass ein Zuhause etwas ist, das man in eine Rabattlogik pressen kann. Dass ein Esstisch nicht mehr Ort für Gespräche und Gemeinschaft ist, sondern ein Preisvergleich. Und dass der Wert unserer Arbeit scheinbar nur noch in Prozenten messbar ist – ein Phänomen, das längst über Weihnachten hinaus anhält. Und genau darin liegt die eigentliche Krise: nicht Inflation, nicht sinkende Frequenz, nicht Konsumzurückhaltung – sondern Sinnverlust. Die Möbelbranche befindet sich in einem paradoxen Zustand: Wir verkaufen das Fundament menschlicher Nähe – und verhalten uns dabei manchmal wie ein Discounter mit Aufbauanleitung. Black Friday ist der deutlichste Spiegel. Er zeigt uns, wie laut wir schreien müssen, um gehört zu werden. Wie tief wir uns bücken müssen, um mitzuhalten. Und wie still es im Inneren geworden ist, während draußen die Lichter funkeln. Aber Weihnachten ist nicht laut. Es ist leise. Es passiert, wenn das Haus warm ist, nicht günstig. Wenn sich Menschen begegnen, nicht nur einkaufen. Wenn ein Möbelstück eine Geschichte erzählt – nicht nur ein Preisschild trägt. Vielleicht wird es Zeit, dass wir als Branche wieder Mut fassen: Mut, nicht alles mitzumachen. Mut, Werte über Werbeaktionen zu stellen. Mut, unsere Leistung nicht unter Wert zu verkaufen. Mut, dem Kunden nicht nur ein Produkt zu liefern, sondern ein Versprechen: Ein Zuhause entsteht nicht durch Rabatt. Es entsteht durch Zeit, Sorgfalt und Menschen, die wissen, was sie tun. Wir sind eine Branche, die Räume erschafft. Orte, an denen Leben stattfindet. Wir gestalten die Kulisse für Erinnerungen, die länger halten als jeder günstige RabattDeal. Vielleicht ist das die eigentliche Botschaft dieser Saison: Nicht „20 Prozent auf alles“ – sondern 20 Prozent mehr Bewusstsein dafür, warum wir überhaupt hier sind. Denn am Ende geht es nicht um Umsatzkurven. Es geht um das, was bleibt, wenn die Lichterketten wieder eingepackt sind: Ein Zuhause, das hält. Und eine Branche, die weiß, wofür sie lebt. EIN ZUHAUSE ENTSTEHT NICHT DURCH RABATT. Nina Schulmeister, Gründerin, Inhaberin & kreativer Kopf der Handwerk Design- und Möbelmanu- faktur GmbH. Kontakt: office@dashandwerk.com
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