wohninsider April Mai 2020

02.2020 | April/Mai |wohninsider.at 19 BRANCHENTALK gessen rasch. Im Jahr 2004/2005 hat die Virusgrippe in Deutschland 20.000 Todes- opfer gefordert, uber sechs Millionen Men- schen wurden infiziert, rund 2,4 Millionen Erwerbstatige wurden krank geschrieben. Das Leben in Deutschland hat sich da- nach aufgrund der Epidemie-Erfahrungen nicht wirklich verandert. Ja, es gab damals keine Geschaftsschließungen und keine Ausgangsbeschrankungen und die Medien hatten neben den Berichten zur Grippe- welle auch andere Themen auf ihren Titel- seiten. Deshalb werden die Erfahrungen dieser Wochen sicher langer im kollektiven Gedachtnis bleiben. Ob sich deswegen auf lange Sicht auch das Einkaufsverhalten auf breiter Front verandern wird, wage ich zu bezweifeln. Eigentlich wunschen sich doch die meisten, dass es wieder wird, wie es war. Wird nach Corona im österreichischen Haushalt fur Möbel mehr Budget zur Verfugung stehen? Urlaubsreisen wer- den ja eher weniger stattfinden. Warten wir ab, wie lange die Einschrankungen bestehen und wie sich die Lage bis zum Sommer entwickelt. Moglicherweise kommt es Ende Juni zu einem Run auf die Reiseburos... Oder halb Osterreich ist im Herbst auf Urlaub. Doch Spaß beiseite, dass kunftig wieder mehr in Mobel investiert werden konnte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Durch die Ausgangsbeschrankungen sind die Men- schen gezwungen, sich wieder mehr mit ihrem Zuhause auseinanderzusetzen. Da fallt einem dann auf, dass das Sofa schon etwas abgewetzt, die Kuche bereits ange- graut ist. In den letzten Jahren befanden sich die Ersatzinvestitionen bekanntlich auf Talfahrt. In der Tat konnte die Co- ronakrise fur eine Trendwende sorgen. Wird das Thema Direktvermark- tung fur die Industrie attraktiver? Die Direktvermarktung uber One Label Shops, in bestimmten Warengruppen auch uber eigene Onlineplattformen, war schon vor Corona ein Thema und wird es auch danach bleiben. Dabei geht es im Wesentli- chen darum, die Abhangigkeit von Filialis- ten und Einkaufsverbanden zu reduzieren und das eigene Angebot wirksamer aus der Vergleichbarkeit mit Konkurrenzproduk- ten zu nehmen. Fur einen erheblichen Teil der Mobelindustrie ist Direktvermark- tung allerdings mit einem Systemwechsel verbunden, nicht nur prozesstechnisch, sondern auch kognitiv. Viele stellen sich das leichter vor, als es tatsachlich ist. Denn die Fahigkeiten und Kompetenzen, die fur den Verkauf an Endkunden benotigt werden, sind vielerorts einfach nicht vor- handen. Wenn man uber Jahrzehnte ge- lernt hat, dass die Wertschopfungskette am Werkstor endet, ist es nicht leicht so ohne weiteres und spontan daruber hin- aus zu denken. Einzelhandel muss ge- lernt sein, Onlinehandel ubrigens auch. Wie wird sich das Thema Home Office auf die Buromöbelbranche auswirken? Sind Großraumburos Geschichte? Ich sehe hier nicht wirklich einen Zu- sammenhang. Eine Studie, die wir 2017 fur einen internationalen Chemiekonzern durchfuhrten, kam zum Ergebnis, dass die Arbeitsproduktivitat im Home Office in der Regel geringer ist als am Buroarbeitsplatz. Die Leistung fallt gegenuber dem Buro- arbeitsplatz umso deutlicher ab, je großer die Ablenkungen zu Hause sind, etwa we- gen Betreuungspflichten, und je hoher der Koordinationsbedarf mit Kollegen inner- halb des eigenen Unternehmens ist. Le- diglich bei Mitarbeitern, die haufig außer Haus alleine arbeiten war kein signifikanter Leistungsabfall messbar. Die Simulation von Home Office- Atmosphare im Buro kann daher nicht das Ziel sein. Trotzdem konnte der Trend zu Open Space-Losungen oder Smart Offices wieder abflachen, wenn man versteht, dass der so gewonnenen Flachenproduktivitat, Nachteile in den Arbeitsprozessen gegenuber stehen. Denn im Vergleich zu Gruppen- oder Kombiburos sinkt auch in Open Space Buros die Arbeitsproduktivitat nachweislich infolge zu großer Ablen- kung, etwa durch storende Akustik. Mit dem Konzept Smart Offices will man dem zwar entgegen wirken, da die meis- ten Arbeitsplatze in Smart Offices aber „on Demand“ sind, fehlt vielen Beschaftigten das fur eine gute Arbeitsatmosphare not- wendige Gefuhl des „eigenen Platzes“. Oder warum sonst platzieren viele am Schreib- tisch oder Rollcontainer Personliches oder pinnen Fotos an die Trennwande? Fur einen produktiven Kommunikationsfluss im Unternehmen muss man nicht zwingend Wande entfernen. Man braucht nur fur Spaß an der Arbeit zu sorgen. Die Staatsbudgets werden schwer be- lastet ... was bedeutet das fur den so- zialen Wohnbau bzw. auch fur die Im- mobilienbranche – Förderungen usw.? Wenn ich den Finanzminister richtig verstanden habe, gibt es nach der Kri- se mal ein Konjunkturpaket. Das kos- tet ebenfalls. Danach wird wohl wieder kraftig gespart werden. So ist etwa durch- aus vorstellbar, dass die nachsten Pen- sionsrunden verhalten ausfallen, weil Solidaritat ja nicht immer eine Einbahn- straße sein kann. Aktuell zeigen sich ja die Arbeitenden mit den Rentnern so- lidarisch. Ob die Wohnbauforderung gekurzt wird, ist noch nicht abschatzbar. Solange die Mieten steigen, eher nicht. Denn nur eine steigende Leerstandsra- te druckt auf die Mieten. Und um das zu erreichen, muss mancherorts noch ganz schon viel neu gebaut werden. Zudem schiebt ein florierender Wohnbau die Kon- junktur an. Bei den Umweltforderungen (etwa fur die thermische Sanierung oder die Umrustung der Heizsysteme) mochte man – wenn gilt, was vor Corona geplant war – noch zulegen. Alles in allem gehe ich daher diesbezuglich mittelfristig von keinen substanziellen Kurzungen aus. www.kfp.at Die Arbeitsproduktivitat im Home Office ist in der Regel geringer als am Buroarbeitsplatz. Fur einen erheblichen Teil der Mobelindustrie ist Direktvermarktung mit einem Systemwechsel verbunden. Bei den Umweltforderungen mochte man – wenn gilt, was vor Corona geplant war – noch zulegen.

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