AprilMai2019
128 wohninsider.at | April/Mai | 02.2019 AM POINT OF SALE S alone del Mobile, ein Déjà-vu, ein Phä- nomen der Möbel- messen – oder doch nicht ganz. Deutlich überhöhte Nächtigungspreise überspannten den Bogen eindeu- tig. Wer dies nicht akzeptierte, musste lange Anreisewege in Kauf nehmen. Trotzdem sah ich Menschenmassen, gefühlt wie nie zuvor, in einer nach wie vor lauten, hektischen und im Ver- kehr versinkenden Stadt. Ein Megaevent, in dem sich eine Millionen Stadt einem scheinbar gleichen Thema verschworen hat. Neben der größten europäi- schen Möbelmesse, 20 km außer- halb der Stadt, wird eine Woche im erweiterten Stadtzentrum eine große Party gefeiert, bei der es in erster Linie um perfekte In- szenierung, um eine gigantische Show geht. Die Haupt-Veran- staltungen, die „Milano Design Week“ und „Fuorisalone“ brin- gen der Stadt wesentlich mehr, gut doppelt so viele Besucher als die Messe außerhalb der Stadt. An die 400 Locations und mehr als 1.300 Events sprechen für sich. Wir reden hier von zwei getrennten Bereichen, die aber perfekt aufeinander abgestimmt sind, so hat es zumindest den An- schein. Das zeigt auch die Besu- cherstruktur: Nicht nur vertraute Möbelhändler, auch viele aus der Architektur Szene und privat Design-Interessierte sind darun- ter, mehr als bei anderen Messen. In Richtung Export Die Möbelmesse selbst präsen- tierte sich wieder von ihrer besten Seite, mit eindeutig internationa- ler Ausrichtung. Eine reine Insze- nierung vom Besten, oft ist jedoch dahinter mehr ein Schein als ein Sein. Das geht so weit das etliche italienische Marken im Heimat- land keinen Vertrieb mehr haben und den Fokus rein auf ertrag- reicheren Export legen. Immer mehr großen Marken werden zum Komplett-Ausstatter, die langfristige Bindung an die Mar- ke wird dadurch verstärkt. Die unwiderstehliche Begehrlichkeit wird geweckt – man muss unbe- dingt dazugehören, zu der erlese- nen Klientel einer Marke. Bei manchen wird dies noch ver- stärkt, indem man die Besucher zwingt, nur einen Eingang zu benutzen. Kunden müssen sich zuerst anstellen, um sich zu ak- kreditieren, dann nochmal, um in die Ausstellung zu kommen. Das kann schon mal eine Stunde dau- ern. Der positive Nebeneffekt für den Hersteller sind die genauen Daten „aller“ Kunden. Mit die- sen Daten kann man gezielt ma- nipulieren ... sorry, überzeugen. „Zwei-Klassen“ Gesellschaft Bedenklich dabei ist allerdings nach wie vor die Trennung der „Welten“, die Auserwählten dürfen rein die anderen müssen draußen bleiben. Nach außen hin abgeschirmt, nur die „drin- nen“ sehen das Werk der Desi- gner. Ob dies noch dem klassi- schen Sinne einer Messe gerecht wird, bezweifle ich. Einen Effekt hat es allemal, man weckt die menschliche Neugier. Das kann aber auch woanders stattfinden, dazu muss nicht die wertvolle Fläche einer Messe hergenom- men werden. Solange die Kun- den es so wollen wird keiner aus- brechen, wird das System noch lange bestehen bleiben, es lebe die „Zwei-Klassen“ Gesellschaft. Experimente kann und will sich von den Großen keiner mehr leisten. Immer uniformer werden Produkte und die Messestände, der Trend der letzten Jahre geht also weiter. Die Zeiten von gro- ßen Neuheiten und bedeutenden Innovationen sind mehr oder weniger vorbei, es ist alles schon mal da gewesen, diesen Eindruck hatte ich persönlich. Auffallend waren jedoch, vor al- lem in den Möbelausstellungen der Stadt, eine deutliche Reduk- tion der Dekoration, ein neuer Minimalismus. Neben der Insze- nierung sollte das Produkt auch zur Wirkung kommen und nicht von der oft zu üppigen Deko er- schlagen werden. Auch wenn am Messegelände nur alle zwei Jahre eine Küchen-Messe stattfindet, sind inzwischen fast alle Herstel- ler in der Stadt vertreten, eine diskrete Umgehung der eigen gewählten Beschränkung. Die eigentlichen Innovationen fanden ganz woanders statt. Die vielen kleinen und weniger be- kannten Marken zeigen immer wieder interessante Details, die nicht immer sofort ins Auge ste- chen, man muss sie suchen. Das ist bei dieser Menge an Ausstel- ler für die meisten Besucher eine nicht einfache Herausforderung. Es war aber auch eine Ver- schwendung von Energie und Ressourcen, nur edelste Mate- rialien wurden bevorzugt. Man darf sich nicht lumpen lassen und sich dem Vorwurf „die ha- ben gespart“ aussetzten. Mir fehlt der aktive Umgang mit der Herausforderung unserer Zu- kunft, unseres Daseins schlecht- hin – dem Klimawandel und seiner bedrohlichen Folgen. Es sind durchaus Ansätze von natürlichen Materialen erkenn- bar, aber das Gros sind nach wie vor Kunststoffe, Spanplatten und vor allem lange Transportwege. Warum müssen Möbelstücke weitab der Kunden produziert werden? Das Hauptargument ist immer wieder der Preis – aber zahlen wir nicht einen höheren Preis, wenn wir unseren Lebens- raum damit zerstören. Sorry, nicht nur unseren, sondern auch den der nächsten Generationen. Design, Preis und Qualität sind wichtig, aber doch nur ein Teil des Ganzen. Schon darüber nachdenken bewegt einiges. Ein hoffentlich nicht frommer Wunsch. www.agentur-kandut.at WALTER KANDUT MAILAND 2019 – ein Superlativ der Branche, oder? Foto: © Kandut Walter Kandut betreibt gemein- sam mit seiner Frau Elisabeth die „agentur für wohnen und mehr“ in Wien. Seine Handelsagentur mit Schwerpunkt auf Service und Kompetenz für den exklusiven Möbel- und Objektfachhandel baut auf über 30-jährige Erfahrung im Verkauf und als Agentur.
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