Februar / März 2019

01.2019 | Februar/März |wohninsider.at 129 AM POINT OF SALE M anchmal muss man einen Schritt zurück gehen, um den Puls der Zeit zu finden. Die Möbelmesse in Köln hat es aus meiner Sicht perfekt geschafft, die überhöhte Geschwindig- keit zu reduzieren und dadurch schlichtweg besser zu werden. Eine Messe versucht immer ein Spiegelbild des Marktes, der Händler und der Gesellschaft zu sein. Es ist aber in Wirklichkeit viel mehr als das, zukunftwei- sende Visionen und ein beherz- ter Aufgriff vermeintlicher und realer Entwicklungen sind ge- nauso wichtig. Keine grenzen- losen Utopien oder gleich zer- platzende Seifenblasen sollten in unserem Geschäft im Vorder- grund stehen. Es gibt einige Lichtblicke, die es verstanden haben, worum es geht. Stellvertretend sei hier der Messestand von KFF genannt. Ein Beispiel für eine perfek- te stimmungsvolle Inszenierung mit enormem Zuspruch durch die Besucher, ohne abgehoben zu wirken oder nur die Superrei- chen im Visier zu haben. Dies hat manche irritiert, aber die meisten haben es durchaus bewundert. Licht als emotionale Stimmung schaffte eine einladende Atmo- sphäre, einfach zum Wohlfüh- len. Dunkle Ecken, um sich zu- rückzuziehen, wie die begehrten Nischen in einem stark frequen- tierten Kaffeehaus. Ein Teil eines durchdachten Gesamtkonzeptes, das Produkt wird dadurch in ei- nen perfekten Rahmen gestellt und enorm aufgewertet. Ein paar fehlende Kleinigkei- ten haben dem überwältigenden Gesamteindruck nicht gescha- det. Dass die hervorragende Pro- duktqualität stimmen muss, ver- steht sich von selbst. Nicht nur der Geruchs- und Sehsinn ent- scheidet, bei Möbeln ist vor allem die außergewöhnliche Haptik ein entscheidender Faktor. Ein schön angerichtetes Essen schmeckt im Regelfall besser als ein angehäuf- ter Teller. Die Stimmung mitnehmen Die Möbelstudios werden im- mer kleiner, zumindest in Ös- terreich, wer hat da schon das Geld und vor allem den Platz je- des Jahr groß einzukaufen. Na- türlich sollte das eine und andere gekauft werden, aber viel wich- tiger ist die eindeutige Philoso- phie und ausstrahlende Kompe- tenz des Produktes und vor allem die eingefangene Stimmung mit- zunehmen. Das haben auch vie- le gemacht, eine durchaus ernst- zunehmende Aufbruchstimmung war zu spüren. Aber Vorsicht, wenn alles nur eine reine Inszenierung und ver- führerisches Marketing ist, ohne Substanz dahinter, geht der Schuss nach hinten los. Zumin- dest irgendwann einmal, eine Zeit lang geht es gut, bis dann der Frust einkehrt und die Horde zu einem anderen weiterzieht. Darin liegt aber die Chance des ewigen Zweiten in der europäi- schen Möbel-Messe-Szene. Quasi eine ernstzunehmende Gegenbe- wegung entsteht und entwickelt sein eigenständisches Profil, das vor 20/30 Jahren verloren ging. Ein Wermutstropfen, zumindest aus der Sicht einiger Besucher, war die enttäuschende Küchen- messe. Da stimmten die hochstili- sierte Erwartungshaltung und das gezeigte Endprodukt nicht über- ein. Sind wir uns aber ehrlich, was bringt es, alle zwei Jahre – eigent- lich jedes Jahr – wenn man Mai- land mitrechnet, einen giganti- schen Aufwand zu betreiben und die edelsten und teuersten Kü- chenlösung zu präsentieren, wenn die „Käufer“ immer weniger be- reit sind dies auch zu finanzieren. Der Mensch ist nach wie vor ein Herdentier – dort, wo alle sind, ist was los, da muss man hin, wie die leider oft kurzlebigen Hypes beweisen. Der Städter (mehr als 60% der Menschen leben inzwi- schen in Städten) geht dort hin, wo es laut und turbulent ist, er sucht nur vermeintlich einen ru- higen Ort, will angeblich von der täglichen Hektik einer Stadt weg und landet dort, wo alle sind, mit all dem ohrenbetäubenden Lärm und der zwangsweisen Rastlosig- keit einer Massenansammlung. Abzocke in Mailand? Das beste Beispiel hierfür sind die großen Schigebiete mit all dem zweifelhaften Spektakel. Die klei- nen, mitunter aber feineren An- lagen sterben, weil keiner mehr hinkommt. „Hier ist ja nicht los“ höre ich leider immer wieder. Das Produkt, das ersehnte gemütliche Schifahren, wird dadurch dritt- rangig und ist nur mehr das Salz in der Suppe. Genau auf dieses Prinzip setzt die hochstilisierte Leitmesse in Mailand. Alle, die heuer die Mes- se planen, können ein Lied da- von singen. Mailand scheint 2019 den Bogen zu überspannen, bis dato werden die meisten Hotels und Wohnungen bis zum Zehn- fachen des normalen Preises auf den Markt geworfen – ich hof- fe sie bleiben darauf sitzen. Das hat nichts mit einem gesunden Markt zu tun, das ist schlichtweg eine „Abzocke“, um einen ty- pisch deutschen Ausdruck zu ge- brauchen. Ich fürchte die Szene will es so. Man schimpft zwar und macht das Spiel aber trotzdem mit. Zwei Gänge zurückschalten würde der nächsten großen Messe in Mai- land guttun. Gerade deshalb hat sich Köln 2019 seinen wichtigen Platz in der Möbelszene gefestigt und kann getrost in die Zukunft bli- cken. Aus österreichischer Sicht ein beinharter Wettkampf um den Platz an der Sonne außer- halb der Massenwaren, die gehen sowieso einen eigenen Weg, ab- seits der Messen. Oder? Als Ide- en-Lieferant dienen sie allemal und sind oft schneller in der Um- setzung als uns lieb ist. wk@agentur-kandut.at WALTER KANDUT imm 2019 – ohne Spektakel eine perfekte Messe Foto: © Kandut Walter Kandut ist Absolvent der HTL Vil- lach, war je- weils mehre- re Jahre tätig in Kalkulation und Verkauf einer Großtischlerei, Verkauf von ex- klusiven Wohnmöbeln und Ob- jekteinrichtungen im Innen- und Außendienst, Einkaufsleiter im Studiobereich und einem Ein- kaufsverband. Seit 2000 betreibt er die „agentur fur wohnen und mehr“ in Wien fur Studios und Handelsvertretungen.

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