Februar-März 2020

92 wohninsider.at | Februar/März| 01.2020 RAUM : OBJEKT wohninsider: Sie haben einen Doktortitel, Herr Deinsberger-Deinsweger. Welchen fachlichen Hintergrund braucht man als Wohn- und Architekturpsychologe? Harald Deinsberger-Deinsweger: Zu meiner Studienzeit gab es keine Ausbildung. Ich musste mir mein Studium selbst auf zwei Universitäten zusammenstellen, indem ich am Psychologie- und am Wohnbau-Institut Lehrveranstaltungen belegte. Wohnpsycho- logie ist eine interdisziplinäre Materie. Erste Ansätze und Kongresse zum Thema be- gannen gegen Ende der 70er. Später riss der Praxisbezug der wissenschaftlichen Grund- lagenarbeit ab. Seit der Jahrtausendwende wird wieder versucht, eine Brücke zwischen Gehirnforschung, Wahrnehmungs- und So- zialpsychologie auf der einen Seite sowie der Bau-, Planungs- und Gestaltungspraxis auf der anderen Seite zu schlagen. Wie gehen Sie in der Beratung vor? Wichtig ist der ganzheitliche Ansatz. Innen- räume und Umfeld sind gleichermaßen in die Analyse einzubeziehen. Unterschätzt wird oft die Funktion der Fenster, die eben nicht nur Licht in den Raum einfallen lassen, sondern den Blick nach draußen öffnen. Je weniger Natur wir durch das Fenster wahr- nehmen, umso wichtiger werden natürliche oder naturnahe Elemente im Innenraum. Naturwahrnehmung sorgt für Regeneration, Konzentration, Motivation, Leistungsbereit- schaft und Kommunikation. Wenn ich keinen Wald von meinem Fenster aus sehe, stelle ich mir also Massivholzmöbel ins Wohnzimmer? Es geht um Erlebnisqualität, nicht um das Material an sich. Wobei sich Holz schon auf das Raumklima förderlich auswirkt. Es kann aber auch ein Wasserbrunnen sein, eine Zim- merpflanze, ein Element aus Naturstein oder ein Bild. Alles, was optisch oder sensorisch den Eindruck und die Erlebnisqualität von Natur vermittelt. Menschen leben seit Jahrtausenden in Städten. Warum die Betonung der Natur, wenn’s ums Wohnen geht? Dieses Bedürfnis begründet sich evolutionär. Ein Blick in die Gehirnforschung zeigt, dass unsere Sinnesorgane, die Nervenbahnen und das Gehirn ein zusammenhängendes System bilden. Dieses sensorisch-kognitive System braucht Stimuli als Grundnahrung, so wie unser Körper Essen und Trinken braucht. Der moderne Mensch beklagt die Reiz- überflutung, die für Erkrankungen wie Burnout mitverantwortlich gemacht wird. Brauchen wir tatsächlich noch mehr Stimuli? Was wir als Reizüberflutung bezeichnen, ist eine Informationsflut. Das sind unterschied- lichste Medien, die beständige Aufmerksam- keit einfordern. Diese Form der Stimulation wirkt umso stärker überfordernd, je länger man ihrem Einfluss ausgesetzt ist. Natur- wahrnehmung fordert nichts, sie gibt etwas: Erholung, Entspannung, Anregung. Jeder, der im Park sitzt und den Sonnenuntergang betrachtet, spürt diese Wirkung. Wir müssen ähnliche Erholungsräume in unseren Woh- nungen schaffen. Demnach sind Sie kein Fürsprecher reduzierter Wohnästhetik ... Man kann einen Raum durchaus schlicht halten. Wenn ich aus dem Fenster auf eine Hauswand schaue, muss ich jedoch versuchen, naturnahe Elemente in die Innenraumgestal- tung zu integrieren und Farbe – etwa durch strukturierte Farbtöne an den Wänden – in den Wohnbereich zu bringen. Ich bin kein Stilberater, sondern gebe Tipps und Empfeh- WOHNPSYCHOLOGIE UND RAUMWIRKUNG „Räume können krank machen“ Optimal gestaltete Räume bieten Nahrung fürs Hirn, sorgen für Anregung und Entspannung, bieten Platz für soziale Interaktion und Rückzugsbereiche für die persönliche Entwicklung. Wohnpsychologe Dr. Harald Deinsberger-Deinsweger weiß, wie man Wohnumgebungen gestaltet, die all diese Bedürfnisse erfüllen. V on R einhard E bner Dr. Harald Deinsberger-Deinsweger ist Baubiologe sowie Wohn- und Architekturpsychologe. Er ist in der Ausbildung und als Berater tätig. Mit „Wohnspektrum“ betreibt er ein technisches Büro für Wohnraum- Optimierung und Wohnqualitäts- Analyse. „Wichtig ist der ganzheitliche Ansatz. Innenräume und Umfeld sind gleichermaßen in die Analyse einzubeziehen.“ Harald Deinsberger-Deinsweger, Wohnspektrum. Foto: Wohnspektrum „Wenn der Blick aus dem Fenster nichts hergibt, braucht es naturnahe Elemente im Innenbereich.“ Zur Person

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