wohninsider Juni-Juli 2018
144 wohninsider.at TRAINING : WISSEN WALTER KANDUT So funktioniert MAILAND AM POINT OF SALE Walter Kandut ist Absolvent der HTL Vil- lach, war jeweils mehrere Jahre tatig in Kal- kulation und Verkauf einer Großtischlerei, Verkauf von exklusiven Wohnmobeln und Objekteinrichtungen im Innen- und Außen- dienst, Einkaufsleiter im Studiobereich und einem Einkaufsverband. Seit 2000 betreibt er die „agentur fur wohnen und mehr“ in Wien fur Studios und Handelsvertretungen. Foto: Walter Kandut M ilano 2018 – das größte Möbel- studio der Welt – die Zutaten: man gründe als Industrie einen Verein, der eine Messe organisiert, der das Gemeinsame vor das Trennende stellt. Man übersteht damit Höhen und Tiefen, überlässt die Mitbe- werber praktisch sich selbst, die die Energie in internen Grabenkämp- fen vergeuden, animiert die Indus- trie Schauräume in der Stadt zu eröffnen um eine Parallelwelt zur Messe zu schaffen. Veranstaltet zusätzliche Events wie eine „De- sign Week“, verbindet dabei meh- rere Branchen vom Auto über die Mode bis zum Möbel, bindet die Bevölkerung der Stadt mit ein und feiert eine Woche Party. Die Kom- mune (sprich Stadt) wird animiert alles sauberer zu machen (seit der Expo auch deutlich sichtbar) und man schließt mit dem Wettergott einen Vertrag: Voilà, und fertig ist ein Event der Superlative – so ein- fach ist es! Vielleicht steigt deshalb auch die Zahl der internationalen Ausstel- ler und Besucher ständig, die ita- lienische Industrie profitiert von der seit vielen Jahren weltweiten Verankerung der Messe. Der ita- lienische Markt stagniert seit Jah- ren auf einem niedrigen Niveau, es soll Produzenten geben, die nur mehr international verkaufen, der eigene Markt wird kaum mehr be- dient. Und gerade deshalb ist Mai- land die weltweit wichtigste Mö- belmesse? Man erweckt damit die menschli- che Eigendynamik der Begehrlich- keit – der Mensch ist ein Herden- tier, dort wo viele Menschen sind, will man auch hin, da ist was los, da will ich dabei sein. Aber es ist auch ein Fest der Eitelkeit, nur mit gutem Speck fängt man Mäu- se. Viele Besucher sind auch stän- dig auf der Suche nach einem ver- meintlichen Trend. Die Veranstaltung am Messege- lände, eine Messe ohne Ecken und Kanten, überlässt nichts dem Zu- fall. Business steht eindeutig im Vordergrund. Obwohl die gro- ßen Aussteller in den Hallen 5 und 7 immer vergleichbarer werden, versucht keiner eigene Trends zu schaffen, ein rein professionelles Kundenbindungsszenario herrscht vor. Das geht so weit, dass die Marken immer mehr Absperrun- gen und verglaste Gänge bauen, um die Schauer abzuhalten. Wie im Zoo, die Zuschauer müssen draußen bleiben. Das ausgestellte Produkt ist dann nicht mehr ganz so wichtig, man kauft den Namen, der draufsteht. Das hat sich bei der diesjährigen Messe noch verstärkt. Gesamtkonzepte, zum Teil von unrealistischen Räumen in den edelsten Materialien, werden ge- zeigt. Ohne Zweifel perfekt bis ins letzte durchdachte Detail, bis hin zur Detailverliebtheit – wie in ei- ner Welt, in der man leben möch- te, auch wenn man nicht die er- forderlichen Räumlichkeiten dazu besitzt – es scheint, das Produkt Möbel ist schon zweitrangig – eine Inszenierung, die seinesgleichen sucht. Wahre Innovationen fin- det man nur im Detail, man muss schon genau hinschauen und vor allen wissen, wo man schauen soll, damit man fündig wird. Es ist mir schon klar, dass bei sol- chen Massen an Besuchern, die dieses Jahr auftraten, nicht alle in die Stände rein können (oder sollen), es ist aber schon bezeich- nend, wenn ich nur einen Eingang habe, also einen Flaschenhals schaffe, und somit den Marken- Bindungs-Gedanken verstärke. Wo bleibt hier aber der Bedarf nach „frischem Blut“, das jede Marke langfristig benötigt? Es gibt Ausnahmen Anders war es meiner Meinun- gen nach bei ebenso wichtigen Aussteller vis-à-vis, hier war weit- gehend ein offenes Standkonzept vorherrschend, hier waren auch „noch nicht Kunden“ willkom- men. Produkte mit Ideen und de- signorientierte Möbel sind dem Standkonzept gleichwertig oder sogar wichtiger. Komfort und Qualität der Produkte sind genau- so wichtig, wenn man genau hin- schaut. Das augenfällige Niveau hat sich hier in der Mitte einge- pendelt. Ich beneide keinen Besucher oder Einkäufer, der aus diesem un- überschaubarem und weitgehend ähnlichen Angebot das „richtige“ rauszuholen versucht. Die Besu- cher sind aber nicht nur Einkäu- fer, sondern auch Konkurrenten – es ist für die Aussteller eine Grat- wanderung, da viele nur Anregun- gen holen wollen (oder brauchen) und Ideenklau nach wie vor gang und gäbe ist. Smart Home, die Digitalisierung der Einrichtung, ist außerhalb der Küche noch nicht angekommen, sieht man von einzelnen Versu- chen ab, das Ankleidezimmer oder den Schlafzimmerschrank zu klimatisieren. Die Stadt Ganz anders präsentiert sich die Szene in der Stadt, alleine im Zuge der Design Week präsentie- ren sich eine Menge an Kreativen. Alle freistehenden Räume werden genutzt oder es werden kurzer- hand Werkstätten ausgeräumt und Innenhöfe zu Ausstellungen um- funktioniert. Hier sieht man, der Mensch ist nicht nur blöd, exzen- trisch, umweltvernichtend, gierig, sondern auch erstaunlich kreativ. Da zeigt sich das enorme Poten- zial der Menschheit. Als Lichtbli- cke seien hier erwähnt: z.B. eine gemeinsame Ausstellung sehr kre- ativer Südtiroler Designer und Handwerker in einem versteck- ten Innenhof mit außergewöhnli- chem Design und naturbezogenen Produkten. Die Einbeziehung der Natur, vor allem nicht auf Kosten der Natur, steht im Vordergrund. Das Gesamtkonzept Designer – Design – Material – Philosophie macht es aus. Es bleibt nur zu hof- fen, dass die auch den Weg ins Business schaffen, und nicht im Ideenklau verschwinden. Und trotzdem ist Mailand keine Stadt auf einem anderen Stern, inzwischen eine Stadt, wie viele andere auf der Welt. So ein Event wie hier könnte auch in vielen an- deren Städten stattfinden, wenn man die eingangs beschriebenen Zutaten richtig mischt und ge- meinsam mit allen Ressourcen da- ran arbeitet. wk@agentur-kandut.at
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDA0NA==