wohninsider Oktober/November 2018
wohninsider.at 127 TRAINING : WISSEN WALTER KANDUT Die Polarisierung schreitet voran! AM POINT OF SALE Walter Kandut ist Absolvent der HTL Vil- lach, war jeweils mehrere Jahre tatig in Kal- kulation und Verkauf einer Großtischlerei, Verkauf von exklusiven Wohnmobeln und Objekteinrichtungen im Innen- und Außen- dienst, Einkaufsleiter im Studiobereich und einem Einkaufsverband. Seit 2000 betreibt er die „agentur fur wohnen und mehr“ in Wien fur Studios und Handelsvertretungen. Foto: Walter Kandut E in turbulentes Jahr, zumindest für die Einrichtungsszene, neigt sich seinem Ende zu. Bei den ei- nen zeigt sich eine regelrechte Aufbruchsstimmung, bei den anderen geht es drun- ter und drüber, quasi kein Stein bleibt auf den anderen, so hat es zumindest den Anschein. Einen Teil der Großfläche hat’s wirk- lich hart erwischt, bei vielen in der Branche kommt auch leich- te Schadenfreude auf. Wir soll- ten uns aber nicht zu früh freuen und die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Die Möbelszene, zumindest in der unteren Preisebene, ist sehr robust und durchaus breit auf- gestellt. Im Vorjahr erwischte es einen der größten Küchenpro- duzenten in Europa, ein klei- nes Lüftchen das schnell wieder vorbei war. Innerhalb von weni- gen Wochen (man kann fast sa- gen Tagen) wurde die Produktion sehr schnell und mehr oder we- niger lautlos von anderen aufge- fangen. Wochen später war keine Rede mehr davon, viele haben es gar nicht mitbekommen. In den letzten Jahrzehnten waren die großen Möbelhändler mehr oder weniger erfolgsverwöhnt, der restliche Handel wurde sprichwörtlich an die Wand ge- drängt. Lange Zeit war keine Ge- genbewegung zu spüren, von ein- zelnen Ausnahmen abgesehen. Das Pendel kommt zurück Seit ein paar Jahren spürt man die schon längst überfällige Reakti- on, das Pendel, das zurückkommt. Und dann 2018, so viele Neuer- öffnungen oder Umbauten wie in diesem Jahr hat es in dieser geball- ten Form schon lange nicht mehr gegeben. Ein gutes Zeichen für den gesamten Markt. Die anfäng- liche Angst oder Scheu vor größe- ren Investitionen wurde abgelegt, eine durchwegs positive Stim- mung hat sich breit gemacht. Und das zurecht, die allermeisten ha- ben profitiert und wurden durch ihren Erfolg darin bestätigt. Ich hoffe, diese Entwicklung geht so weiter und das entfachte Feu- er breitet sich aus. Die Endkun- den sind doch ständig Suchende, nach dem „Richtigem“ nach dem Problemlöser, durchwegs nur im exklusiven Bereich. Ein sichtbares Zeichen, dass die Polarisierung, das Auseinander- driften zwischen der allgegen- wärtigen Massenware und dem noch raren Spezialisten, stetig weiter geht. Problematisch ist der Bereich dazwischen – der Preis ist zu teuer, das Service zu billig. Ein allgemeines Problem, nicht nur in der Möbelbranche. Der Schritt nach oben Mir ist schon klar, dass es nicht nur ein schwarz-weißes Szenario gibt, viele Grauzonen dazwischen sind vorhanden. Es geht viel mehr darum eine Entwicklung zu skiz- zieren auf welchem Weg wir uns befinden. Jetzt zu entscheiden wo ich dazu gehören will ist nur mehr in eine Richtung möglich, der Schritt nach „oben“. Als Fachhändler heißt oben nicht nur „Preis“, dazu gehört all das was die Großfläche nicht bie- ten kann oder will. Die viel stra- pazierten Begriffe wie Individu- alität, Image und Qualität, als Überbegriff ist „Dienstleistung“ zu sehen, sind ein wichtiger Teil davon. Der Begriff „Marke“ ist dabei auch nicht zu unterschätzen, obwohl er derzeit mit der hef- tig geführten Diskussion über Preisabsprachen, vor allem in Deutschland, ziemlich in Mitlei- denschaft gezogen wird. Angeb- lich verbotene Preisabsprachen oder allgegenwärtige Preisvor- gaben (Verkaufspreise) sind the- oretisch vom Gesetz her verbo- ten. Hersteller mit vorgegebenen Verkaufspreisen werden quasi als „Verbrecher“ hingestellt. End- kunden müssen die Möglichkeit erhalten, dort einzukaufen wo es „am billigsten“ ist, ein freier Wettbewerb muss herrschen. Es gibt gute Gründe warum das System der empfohlenen Ver- kaufspreise der letzten Jahrzehn- te gut funktioniert hat, jetzt ist es verpönt. Es hat den Anschein, dass dem anderen der Verdienst madig gemacht wird. Für den Markenbegriff bedeutet dies langfristig nichts Gutes. Abwan- derungstendenzen in existierende Billiglohnländer werden damit si- cher nicht gestoppt. Die Konsequenz daraus ist, der Händler muss die VK Preise selbst festlegen. Wenn der Käufer ausschließlich auf der Preisebene agiert, wird es irgendwann mal keinen Handel in der herkömm- lichen Form mehr geben, zu groß wird der aufgebaute kundensei- tige Druck. Als Handel muss ich dann auf andere „Werte“ setzen um meine Kosten abzudecken. Wenn diese Diskussion so weiter- geht, dann wird es auch das jet- zige System Produzent – Handel in dieser Form nicht mehr lan- ge geben. Entweder müssen die Produzenten direkt z.B. „ab Fa- brik“ verkaufen oder eigene Ver- triebsorganisationen aufbauen. Dann sind die Fachhändler nur mehr reine Dienstleister, sofern es sie dann noch gibt, oder wir ent- wickeln einen neuen Umgang mit dem Wert der Arbeitskraft und der Dienstleistung. Die kleinen Fachhändler wer- den den Verdienstentfall nicht an die Produzenten weitergeben können. Die großen tun es jetzt schon, deshalb lösen sich immer mehr Marken aus diesem Druck. brig bleibt ein mehr oder weni- ger direkter Verkauf über Groß- flächen. In der Massenware geht der Trend hin zum System Ikea, Produzent und Handel sind ver- eint, dann gibt es keine Diskussi- on ob irgendwer zu viel verdient, es gibt für dieses Produkt kei- ne Konkurrenz. Das ist aus mei- ner Sicht schizophren. Ob dies im Sinne des Verbrauchers ist, ist zu bezweifeln. Letztendlich geht alles zu Lasten des Konsumenten. Wenn er über- teuerte Billigware auf Kosten der Umwelt und Arbeiter kauft, muss er über dem Umweg dem Staat Steuern zahlen, der für die Be- wältigung der zunehmenden Um- weltschäden und steigenden Sozi- alleistungen Geld benötigt. Jede Medaille hat zwei Seiten. wk@agentur-kandut.at
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