wohninsider Oktober/November 2018

128 wohninsider.at TRAINING : WISSEN m die Selbstreflexion an- zuregen, müssen wir die Entfernung zu unserem Tun vergrößern. Und was heißt das genau? Versetzen Sie sich in die Rolle eines Malers, der einige Schritte von sei- nem Bild zurücktritt, um es aus der Distanz betrachten zu können. Oder denken Sie an ei- nen Rundflug über das eigene Tageswerk. Ha- ben Sie so einen berblick gewonnen, stellen Sie sich zum Beispiel folgende Frage: Hät- te ich unseren besten Kunden so behandelt, wie ich heute meinen Mitarbeiter behandelt habe? Eine weitere Technik ist die der „drei Siebe“, die gerne dem griechischen Philosophen Sok- rates zugeschrieben wird. Die drei Siebe sind Fragen, die man sich stellt, bevor man etwas tut oder einen Gedanken ausspricht. Sie lau- ten so: „Ist es wahr?“, „Hat es Güte?“, „Ist es notwendig?“ Der Blick von oben auf das eigene Tun Die Meta-Ebene, auch Helikopter-Perspekti- ve genannt, kann den eigenen Anteil an dem, was passiert, in den Fokus rücken. Hierdurch entstehen Fragen wie diese: Ì Ì Zeigen sich meine Mitarbeiter führungs- bedürftig, weil ich so bestimmend bin? Ì Ì Sind sie etwa deshalb so ruhig, weil ich ihre Meinung nicht gelten lasse? Ì Ì Kommen keine Ideen von ihnen, weil ich immer alles besser weiß? Ebenso kann man während einer konkre- ten Interaktion immer mal wieder ganz rasch auf die Metaebene wechseln und sich fragen: Wird das, so wie ich es jetzt gleich sagen will, für den Mitarbeiter enttäuschend, okay oder begeisternd klingen? Und wie kann ich es bes- ser sagen, so dass es für ihn/sie annehmbarer ist? Denken Sie dabei wie ein guter Schach- spieler immer zwei, drei Züge voraus. Wie Sie kommunikative Desaster vermeiden Von einer höheren Warte aus lässt sich ein pri- ma Rundumblick wagen. Dabei verlässt man die ichbezogene Sichtweise und begibt sich in die Rolle eines neutralen Betrachters. Folgende Fragen kann man sich stellen: Ì Ì Was wird das, was ich gerade sage/tue, beim anderen bewirken? Ì Ì Wie wird/kann er/sie das, was ich sage/ tue, verstehen? Ì Ì Was wird er/sie daraufhin wahrscheinlich tun? Ì Ì Ist dies das von mir Gewünschte? Ì Ì Was muss/kann ich verändern, damit es dem Gewünschten entspricht? Ì Ì Lebe ich selbst vor, was ich bei anderen er- reichen will? Ì Ì Was kann ich bei mir selbst in Zukunft ver- bessern? Bedeutet es Lebensqualität, von mir geführt zu werden? Manches kommunikative Desaster könnte vermieden werden, würde eine solche Meta- Ebene der kritischen Selbstreflexion systema- tisch in die tägliche Führungsarbeit integriert. Sie setzt vor, während und nach jeder Inter- aktion ein. Eine wichtige Frage am Ende ist immer auch diese: Habe ich dem Mitarbeiter (schon wieder) gesagt, was er tun soll? Oder habe ich ihn vielmehr gefragt, was er auf wel- che Art machen will und wird? Wenn Sie die Verantwortung in die Hände der Mitarbeiter legen, dann müssen Sie allerdings Entschei- dungen aushalten können, die Sie selbst so nicht getroffen hätten. Hüten Sie sich vor den Affen Der Blick von oben schützt auch davor, dass immer alles auf dem eigenen Schreibtisch landet. Dieses Thema hat der Management- berater William Oncken sehr plakativ un- ter dem Begriff „Monkey Management“ be- kannt gemacht. Worum es dabei geht? Ein Mitarbeiter kommt mit seinem Anliegen zum Vorgesetzten, damit dieser eine Lösung findet. Schlau hat sich der „Affe“ herüberge- hangelt und auf der Schulter des Chefs ein bequemes Plätzchen gefunden. Oder er tobt mit all den anderen „Affen“, die Sie von den übrigen Mitarbeitern in Pflege genommen haben, auf Ihrem Schreibtisch herum. So ist an das Bewältigen eigener Arbeit bald nicht mehr zu denken. Natürlich dürfen die Mit- arbeiter mit ihren „Affen“ zum Chef kom- men, doch sie müssen ihn am Ende des Ge- sprächs wieder mitnehmen („Affe rein – Affe raus“). Dazwischen findet ein kleines Coa- ching statt, und zwar mit klugen Fragen, die dem Mitarbeiter helfen, selbst eine passende Lösung zu finden. Hier drei Varianten: Ì Ì Was würde denn aus Ihrer Sicht die Situa- tion verbessern? Ì Ì Was würden Sie denn tun, wenn es Ihr Unternehmen wäre? Ì Ì Wen aus dem Kollegenkreis könnten Sie denn konsultieren, bevor Sie entscheiden? So fällt man als Chef auf gespielte Hilflosig- keit nicht länger herein. ANNE M. SCHÜLLER Chefsache Selbstreflexion: Rundflug über das eigene Tun Die kritische Selbstreflexion zählt zu den wichtigsten Eigenschaften einer guten Führungskraft. Um sein eigenes Verhalten stetig zu optimieren und nicht in Verzerrungsfallen zu tappen, hilft der Blick von oben auf das eigene Tun.

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