Oktober-November 2021
128 wohninsider.at |Oktober/November | 05. 2021 AM POINT OF SALE Foto: © Kandut WALTER KANDUT FLUCH UND SEGEN EINER PANDEMIE (KRISE) A nfang Oktober fand in der Wie- ner Hofburg nach mehr als 1,5 Jah- ren die erste Mö- belmesse für Endverbrauer statt. Schon beim Eröffnungsabend ga- ben sich VIPs und Branche eine Party, als wenn es keine Pandemie mehr gäbe. Der erste Eindruck war, es geht dort weiter, wo wir vor der Krise waren. Die 2-G- Regel für Besucher ist vielleicht richtungsweisend für zukünfti- ge Veranstaltungen. Das Risiko wird dadurch auf ein akzeptables Maß reduziert, zumindest was die staatlichen Vorgaben betrifft. Und das haben die Kunden auch redlich genutzt. Die offiziellen Besucherzahlen waren lt. Ver- anstalter sogar höher als vor der Pandemie, ein Zeichen, dass viele schon sehnsüchtig darauf gewar- tet haben. Endlich wieder ein per- sönlicher Kontakt, endlich wieder ein Hauch von „Normalität“. Aber nach so einem einschneiden- den Problem kann man nicht ein- fach zurück. Eine Veränderung hat schon stattgefunden, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Die globale Pandemie und die allgemeine Zinssituation ha- ben uns am linken Fuß erwischt. Wie sollen wir die entstandene Nachfrage bewältigen? Viele sind damit überfordert. Eingeschliche- ne Fehlentwicklungen der Bran- che kommen jetzt schonungslos an die Oberfläche. Allgemein bekannte Lieferschwierigkeiten, entstanden durch Aussourcen von Produktionsteilen in sogenannte Billiglohnländer, angeheizt durch Spekulation und den Drang nach höherem Gewinn. Personalmangel Dazu ein noch größeres Problem, ein eklatanter Personalmangel, in allen Bereichen. Verkäufer, Tech- niker, Tischler, Schlosser oder Polsterer sind echte Mangelware. Wer jetzt Personal sucht hat ein beträchtliches Problem. Schon seit etlichen Jahren weise ich auf die Problematik hin. Nach außen gab es weder eine Ausbildungs- Offensive der Kommunen oder Wirtschaftskammer, geschweige denn eine Imagekampagne der Branche, um diesem Dilemma entgegenzuwirken. Wir haben die letzten 30 Jahre in dieser Be- ziehung vieles falsch gemacht. Der Zusatzgewinn wurde einsei- tig für das Marketing und Image für den Kunden verwendet, nicht aber für das eigene Personal. Der Preisdruck und die Stagnation der Lohnkosten gaben den Rest. Aktienkurse und damit auch die Unternehmenswerte stiegen im Vergleich dazu außerordentlich, eine sehr einseitige Entwicklung. Der Massenmarkt Die Verlagerung auf den Massen- markt (ich schätze 80 %) ist meiner Meinung nach einer der Haupt- verursacher unseres jetzigen Di- lemmas. Verkauf und Produktion sind damit direkt und indirekt für die Jugend unattraktiv geworden, man sah keine positive Zukunft. Durch den rasanten Vormarsch der Massenware verkleinerte sich die Anzahl der exklusiven Ge- schäfte, dadurch wurde auch viel weniger in Lehrlinge oder Perso- nal investiert, ein Teufelskreis. Seit etlichen Jahren fehlen wieder Einrichtungsstudios und auch das entsprechende Personal dazu. Die Branche kann dadurch nur „begrenzt“ ihr enormes Potenzial ausnutzen. Wenn nicht junges, motiviertes Personal in ausrei- chender Menge nachkommt, steigt der Altersschnitt stetig und irgendwann gehen diese dann auch in Pension. Genau vor die- sem Punkt stehen wir jetzt, in den nächsten 3-5 Jahren geht ein großer Teil der gut ausgebildeten Einrichtungsberater, aber auch Tischler in den wohlverdienten Ruhestand. Wenn wir jetzt schon Personalmangel haben, was ma- chen wir dann in den nächsten Jahren. Abwerben aus anderen Branchen geht nicht, die haben die gleichen Probleme. Wenn z.B. Installateure mit einem Nettoein- stiegsgehalt von € 2.500,- und mehr gesucht werden, sollte uns das zu denken geben. Zuzug aus den angrenzenden Staaten, geht auch nur begrenzt – inzwischen kämpfen sie mit den gleichen Problemen wie wir. Wir müssen endlich eine ehrliche Diskussion um eine Verteilung des Vermögens von oben nach unten führen. Wir müssen die Finanzierung des Staates, unseres Wohlstandes, der überwiegend aus dem Faktor Arbeit finanziert wird, anders organisieren. Die Lohnnebenkosten müssen gerin- ger werden und dieser Betrag 1 zu 1 an das „Personal“ weiterge- geben werden, damit die Hand- werker oder Einrichtungsspezia- listen was davon haben. Dadurch wird auch wieder mehr junges Personal angelockt. Die Branche braucht andere Zukunftsaussich- ten, die Kunden als auch das Per- sonal werden es goutieren. Der Leidensdruck der Wirtschaft, der Politik ist anscheinend noch zu gering, sonst würde es schon längst Bestrebungen geben, das Ruder rumzureißen. Sie sind zu beschäftigt mit dem permanenten Machterhalt und den zweifelhaf- ten Intrigen, die dazu notwendig sind. Der Slogan „die Wirtschaft schafft Arbeitsplätze“ ist für unse- re Branche zynisch, wir haben die Arbeitsplätze, nur kein Perso- nal dafür. Der Umkehrschluss da- raus: der Staat sollte nicht nur die Wirtschaft fördern, sondern Bil- dung und Ausbildung wesentlich stärker ausbauen, damit vielleicht in zehn Jahren wieder genügend Personal für unsere Branche vor- handen ist. Der Bedarf wird auch dann noch vorhanden sein. Ein- richten ist eine abwechslungsrei- che, komplexe und personenbe- zogene Tätigkeit. Eine KI kann zwar das technische Problem lösen hat aber (noch) keine Ge- fühle, keine Empathie, auf die es letztendlich ankommt. Diese Pandemie hat aber auch was Positives gebracht, eine weit- gehende Beschleunigung, eine breite Akzeptanz für die zwin- gende Bewältigung der nächsten Herausforderung, der Klimapro- blematik. Durch den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen müssen wir Materialien wie z.B. Kunststoff deutlich reduzieren und Möbel aus nachhaltigen und natürlichen Materialien produzieren. Ein 3D Drucker wird dann immer noch kein Holz, mit seinen physikali- schen Eigenschaften, ausspucken können. Wir müssen unser altge- wohntes Leben, jetziges Arbeiten und Wohnen neu denken. Wenn wir, wenn Sie das möchten, dann sollte die notwendige Verände- rung schnell erfolgen. www.agentur-kandut.at Walter Kandut betreibt gemein- sam mit seiner Frau Elisabeth die „agentur für wohnen und mehr“ in Wien. Seine Handelsagentur mit Schwerpunkt auf Service und Kompetenz für den exklusiven Möbel- und Objektfachhandel baut auf über 30-jährige Erfahrung im Verkauf und als Agentur.
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