GRASS-GF Albert Trebo: "Prinzip des Wohnens wird sich radikal ändern"

Auch für GRASS war das vergangene Jahr ein überaus bewegendes. Denn der Spezialist für Bewegungssysteme hat 2020 u.a. ein neues Firmenzentrum inkl. Logistikzentrum in Hohenems errichtet und zudem mit Kinvaro-T-slim einen Meilenstein samt einiger Auszeichnungen gesetzt.

Von Lilly Unterrader

Für die aktuelle Printausgabe des wohninsider baten wir den Geschäftsführer von GRASS, Albert Trebo, zum Interview. Im Folgenden lesen Sie das gesamte Gespräch mit dem charismatischen Firmenchef, der tiefe Einblicke in die firmeneigene als auch die allgemeine Zukunft gibt ...

wohninsider: Wie geht es GRASS in der aktuellen Situation, wie haben sich die vergangenen Monate gestaltet, wie wird dieses turbulente Jahr voraussichtlich abgeschlossen?

Albert Trebo: Wir haben umfangreiche Maßnahmen ergriffen und die Absatzrückgänge im Frühjahr und Sommer dadurch verhältnismäßig gut abfedern können. Seit September produzieren wir wieder mit maximaler Leistung. Die Corona-Lage hat ja auch dazu geführt, dass der Wert des Wohnens stärker in den Fokus gerückt ist. Dadurch, dass die Menschen viel zu Hause sind und nicht in den Urlaub fahren können, steigen die Investitionen in die eigenen vier Wände. Das hat in der Einrichtungsbranche zu einem gewissen Nachholbedarf geführt, der auch uns zugute kommt. Mit der aktuellen Auftragslage kann der Einbruch im 2. Quartal des Jahres auf das gesamte Jahr gerechnet ein stückweit aufgeholt werden. Das freut uns natürlich. Noch wichtiger ist aber, dass sich unsere internen Corona-Maßnahmen als sehr effizient erwiesen haben: Im Unternehmen gab es bisher keine Ansteckung.

Bei GRASS in Hohenems hat sich in den vergangenen Monaten ja viel getan. Was bietet man an diesem Standort aktuell und wie geht es weiter?

Wir sind auf der Zielgeraden: Das Lager läuft fast auf maximaler Leistung. Rund 11 Millionen Euro haben wir in Logistik-Hard- und Software investiert – das zahlt sich aus: Wir haben die Auslieferung zentralisiert, von vier auf ein Lager und schaffen es dort mit hochautomatisierten Kommissions- und Verladeflächen bei Volllast ca. 1.000 Paletten pro Tag zu beladen. Das Auftragszentrum ist am Standort Hohenems bereits operativ und auch das geplante Kunden- und Eventcenter befindet sich in Umsetzung. Es wird im ersten Quartal 2021 fertiggestellt sein.
Für GRASS ist die Investition ein großer Schritt nach vorne. Mit dem Zentrallager lösen wir einen wesentlichen Engpass und schaffen die Voraussetzung für eine profitable und nachhaltige Entwicklung.

Wie halten Sie es derzeit und in den kommenden Monaten, im kommenden Jahr mit Messen? Sind virtuelle Auftritte oder Klein-veranstaltung aus Ihrer Sicht ein adäquater Ersatz für große Messen?

Die Sicherheit von Mitarbeitern, Kunden und Partnern steht für uns ganz oben. Das bedeutet, bis die Lage über einen Impfstoff oder auf andere Weise unter Kontrolle gebracht ist, werden wir unsere etablierten Vorsichtsmaßnahmen aufrechterhalten. Danach kommt die Kosten-Nutzen-Überlegung. Nach heutigem Stand werden wir bis Mitte Jahr 2021 an keiner Messe teilnehmen und persönliche Besuche ebenfalls maximal reduzieren. Aufgrund der noch wenig vorhersehbaren Situation mussten wir uns leider auch gegen eine Teilnahme an der für uns wichtigsten Messe, der interzum in Köln, entscheiden. Das ist das erste Mal seit 1963, dass GRASS nicht an dieser Leitmesse teilnimmt.
Einen adäquaten Ersatz für die großen Messen gibt es momentan noch nicht, doch über Kundenveranstaltungen im neuen Kunden- und Eventcenter in Hohenems können wir zumindest eine interessante Ergänzung unserer Kundenaktivitäten bieten. So halten wir – unter Berücksichtigung sämtlicher Hygieneregeln – den Kontakt zu unseren Kunden und Partnern und haben sogar noch mehr Möglichkeit zum individuellen Austausch.

Wir denken momentan sogar darüber nach, ob es nach der Corona-Zeit noch Sinn macht, kleinere Messen oder mehrere Messen in einem Land zu besuchen – oder ob diese nicht über digitale Plattformen in Kombination mit individuellen Präsenzveranstaltungen ersetzt werden können. Langfristig gehen wir jedenfalls eher davon aus, dass wir weltweit gesehen weniger Messeauftritte haben werden.

Kinvaro T-Slim hat ja viele Auszeichnungen bekommen. Wie ist es am Markt – in Zahlen gerechnet – angenommen worden und wo erfreut es sich der größten Beliebtheit? In welchen Ländern, in welchen Anwendungen?

Tatsächlich spiegeln die Auszeichnungen auch die Stimmung im Markt wider: Unsere Partner haben das unsichtbare Klappen-System gut aufgenommen. Bis heute wurde Kinvaro T-Slim in 32 Länder ausgeliefert – und es steht der Roll-out in weiteren Märkten an.

Den erfolgreichsten Start hatten wir in Märkten, in denen im Bereich Oberschrank schon länger ein starkes Augenmerk auf Klappen-Beschläge gelegt wurde. Das ist zum Beispiel in Spanien, Russland, Italien, Deutschland und auch in Kanada der Fall.
Wir bedienen mit diesem Produkt in erster Linie den Handel und damit den Schreiner. Unsere Techniker in den Regionen unterstützen unsere Handelspartner dabei mit Bemusterungen und Produktvorstellungen. Darüber hinaus haben wir auch in der Industrie erste Erfolge verbuchen können: Hier wird Kinvaro T-Slim vor allem im Bereich Küche, aber auch im gehobenen Wohnmöbelbau eingesetzt.

Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie in Ihrem Bereich in Zusammenhang mit Smart Living? Auf welche Produkte kann man sich möglicherweise schon bald freuen?

Wenn man Smart Living als ein vernetztes System versteht, bei dem das Zusammenspiel unterschiedlicher Komponenten das Zuhause komfor-tabler machen soll, gibt es für uns keine Impulse daraus für die Produkt-entwicklung. Bei dem, was momentan unter diesem Begriff läuft, fehlt es am Komfortgewinn für den Verbraucher. Es gibt viele Einzellösungen, die eigentlich alles nur komplizierter machen. Warum sollte man zum Beispiel eine App nutzen, um einen Schrank zu öffnen?
Impulse für unsere Arbeit kommen eher aus den anderen Megatrends. Zum Beispiel der Urbanisierung: Der Wohnraum in Ballungsgebieten wird immer teurer. Wir müssen uns also darüber Gedanken machen, wie man das Wohnen in der Megacity lebenswert gestalten kann. Das ist die Herausforderung für die nächste Dekade. Wir sollten nach intelligenten Lösungen suchen, wie wir Stauräume in kleiner werdenden Wohneinheiten unterbringen und inszenieren. Möbel werden vom Designobjekt zum Sinnobjekt. Auch das Prinzip des Wohnens wird sich radikal verändern. Die klassische Aufteilung in Zimmer ist bereits ebenso obsolet geworden wie die Bedeutung von Wohnraum als Teil der Identität. Während wir heute statistisch viermal im Leben umziehen, werden künftige Generationen etwa 10-mal das Zuhause wechseln. Da stellt sich nicht nur die Frage, ob der Besitz von Immobilien ein zukunftsfähiges Konzept darstellt, sondern vor allem, was wir als Hab und Gut mit auf unsere Lebensreise nehmen.

Leisten wir uns in Zukunft eine eigene Küche? Besitzen wir Möbel? Das sind die Entwicklungen, die Smart-Living-Konzepte angehen müssen – und die bei uns schon mitgedacht werden. Zum Beispiel im Rahmen der Kooperation mit Häcker Küchen. Wir haben gemeinsam das nur 8 Millimeter schlanke Schubkasten-System Vionaro V8 Slim Drawer entwickelt. Ein System, das die Grenzen der technologischen Machbarkeit einmal mehr verschiebt.

Auch der schon erwähnte Kinvaro T-Slim passt zu dieser Thematik. Das sind zukunftsweisende Produkte, die vom Markt sehr gut angenommen werden und im Zuge der Entwicklung von Smart-Living-Lösungen sehr gut vermarktbar sind.

Was sind generell die aktuellen Neuheiten und Bestseller?

Zwei haben wir bereits genannt.

Bei dem Klappen-System Kinvaro T-Slim ist es unseren Ingenieuren gelungen, die komplexe Mechanik des Dreh-Beschlags auf eine Baugröße von 12 Millimeter zu reduzieren. Vionaro V8 Slim Drawer geht für Schubkasten-Systeme ebenfalls an die Grenze des Machbaren.

Aber auch unser klassisches Schubkasten-System Vionaro wird derzeit stark nachgefragt. Und dann wäre da noch Nova Pro Scala, ein Auszugs-System, das seit seiner Markteinführung zu unseren Bestsellern gehört.

Was sind Verkaufsargumente (Tipps) für einen Verkäufer, werden Verkaufsargumente auch in Richtung Endkonsumenten geschult, oder beziehen sich die Schulungen eher in Richtung Wiederverkäufer und Einrichter etc?

GRASS Bewegungs-Systeme sind Markenprodukte von höchster Qualität und bewegen die Möbel der renommiertesten Möbelmarken. Dieser Satz aus unserem Markenverständnis sagt schon viel über unsere Produkte aus. Für den Endverbraucher sind Unterschiede oft schwer zu erkennen. Da sind wir in unserer Branche nicht allein. Was unterscheidet denn zum Beispiel einen Mercedes von einem BMW? Die wenigsten Autokäufer treffen ihren Kaufentscheid auf Basis von technischen Merkmalen. Hier sind wir beim Thema. Es geht in erster Linie um die Markenwahrnehmung, den Wunsch nach Differenzierung. Und darin liegt eine unserer Stärken. Um diese auch über die gesamte Kette argumentieren zu können und natürlich auch mit dem Qualitätsversprechen zu untermauern, bieten wir eine Vielzahl an Schulungsmöglichkeiten an. Durch die Corona-Pandemie haben wir diese noch einmal deutlich verstärkt. Am Standort Hohenems entsteht gerade ein neues Schulungszentrum mit eigenem Film- und Fotoset, Webinarräumen und einem großen Showroom. Zudem entwickeln wir gemeinsam mit Würth neue Trainingsmöglichkeit via E-Learning. Bei all diesen technischen Möglichkeiten ist aber der persönliche Kontakt noch immer wichtig, darum schult die GRASS-Akademie auch Verarbeiter und Vertriebsmitarbeiter direkt vor Ort. Zumindest hat sie das vor der Pandemie getan und wird es auch danach wieder tun. Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen, im Fokus unserer Schulungen stehen derzeit selbstverständlich Verarbeiter und Vertriebsmitarbeiter. Konzepte und Kommunikationsplattformen für den Endverbraucher sind aber im Rahmen der Markenbildung im Entstehen.

Warum gehen mehr als 95% ins Ausland und ist man bestrebt, auch das Geschäft in Österreich zu forcieren? Was hat sich vertriebstechnisch bei GRASS getan, bzw. steht am Plan, auch für die Zeit nach Corona?

Die Welt ist heute stark vernetzt, und so betrachten wir bei GRASS die Nachbarländer als Heimmarkt.

Trotzdem, ja, wir werden das Geschäft in Österreich forcieren. Dabei ist Österreich ein starker Schreinermarkt, den wir entsprechend über Handelspartner bedienen, welche wir wiederum besser als in der Vergangenheit aus Hohenems bedienen werden.

Auch sonst spielt Hohenems vertriebstechnisch eine wichtige Rolle. Wir zentralisieren hier die gesamte Vertriebssteuerung. Zudem wollen wir nach Corona die neuen Produkte ihrem Wert entsprechend im neuen Kundenzentrum präsentieren und erfolgreich vermarkten.

Mit Blick in die Zukunft, wie sehen Sie die Branche in drei bis fünf Jahren aufgestellt? Sehen Sie gravierende Änderungen und wenn ja, in welchem Bereich?

Drei bis fünf Jahre sind für uns und die Möbelbranche keine besonders lange Zeit und damit sehen wir auch keine gravierenden Änderungen. Bei dem neuen Vionaro V8 Slim Drawer gehen wir zum Beispiel davon aus, dass wir ein System entwickelt haben, das mindestens für eine Dekade State-of-the-Art sein wird. Das ist unser Anspruch: Innovation nicht als Selbstzweck zu betreiben, sondern für qualitativ hochwertige Produkte mit einer langen Lebensdauer und einem hohen Designanspruch. Unsere Bewegungs-Systeme bieten Differenzierungsmöglichkeiten und sind nachhaltig. Für die Möbelhersteller in Industrie und Handwerk werden unsere Produkte aus diesem Grund noch lange interessant sein. Als Innovationsführer sehe ich uns also für die Zukunft gut aufgestellt.

www.grass.at