„Raumwechsel!“

Die ORGATEC hat mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP die Studie „Raumwechsel!“ durchgeführt. Maria Zaglauer gibt Einblicke in die Ergebnisse, die beim Symposium „Menschen in Räumen“ präsentiert werden.

 

Welches Image haben Räume und gibt es eine ortsunabhängige Wertschätzung von Arbeit? Diese Frage stellt die ORGATEC und liefert Antworten. In einer hybriden Arbeitswelt kommen der Gestaltung und Wirkung von Arbeitsumgebungen eine besondere Bedeutung zu – und daher führt das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP gemeinsam mit der ORGATEC die Studie „Raumwechsel!“ durch, mit der die Wechseldynamik in einer multilokalen Arbeitswelt, die veränderte Raumnutzung und die Rolle von Umgebungsfaktoren untersucht werden.

Als Diplom-Psychologin ist Maria Zaglauer Chief Scientist der Abteilung Akustik am Fraunhofer IBP. Im Gespräch mit dem ORGATEC-Team der Koelnmesse GmbH verrät sie mehr über die Inhalte und Ziele der Studie sowie über das Symposium „Menschen in Räumen“, auf dem die Studienergebnisse am 26. Oktober auf der ORGATEC vorgestellt werden.

 

Frau Zaglauer, gemeinsam mit der ORGATEC führt das Fraunhofer IBP die Studie „Raumwechsel!“ durch. Worum geht es in der Studie?

Maria Zaglauer: Wir haben die Studie „Raumwechsel!“ genannt, da wir aktuell eine sehr dynamische Entwicklung im Hinblick auf die Arbeitsumgebung beobachten. Im Laufe der Pandemie hat sich ein verstärkter Wechsel zwischen Büro, Homeoffice und dritten Arbeitsorten entwickelt. Außerdem entstehen seit einigen Jahren vermehrt aktivitätsbasierte und non-territoriale Konzepte, die auch innerhalb des Büros zu einer höheren Wechseldynamik führen. Diese unterschiedlichen Dynamiken schauen wir uns mit der Studie genauer an und haben sie hierzu in drei Bereiche gegliedert: Raumwechsel, Konzeptwechsel und Wechseltypen.

 

Welches Ziel verfolgt die Studie?

Es geht zunächst um den Vergleich verschiedener Räume im Hinblick auf physikalische und gestalterische Umgebungsbedingungen. Uns interessiert zudem, wie häufig und warum im Arbeitsalltag zwischen verschiedenen Räumen gewechselt wird. Hierbei geht es um die Frage, in welchen Bereichen sich die Arbeitsräume funktional und psychologisch ergänzen dürfen und wo sie sich doppeln müssen. Gerade im Hinblick auf Territorialität und Privatheit oder Konzentration versus Kollaboration ist das noch nicht hinreichend beantwortet. Zurzeit wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass in Zukunft das Homeoffice für konzentrierte Arbeit genutzt wird und das Büro eher für kollaboratives Arbeiten. Eine Arbeitswoche unterteilt sich aber nicht in konzentrierte und kollaborative Tage, sondern besteht täglich aus unterschiedlichen Tätigkeiten.

Was bedeutet das für die Nutzung von Räumen?

Es stellt sich etwa die Frage nach dem Einfluss einer vermehrten Nutzung des Homeoffice. Dort nutze ich regelmäßig und häufig ein privates Territorium für die Arbeit, welches ich in den letzten zwei Jahren vielleicht sogar nach individuellen Bedürfnissen ausgestaltet habe. Benötige ich dann zusätzlich einen persönlichen Bereich im Büro oder lasse ich mich heute eher auf non-territoriale Konzepte wie Desksharing ein? Solche Überlegungen spielen für die Gestaltung von Büroflächen und die Nutzerakzeptanz eine große Rolle. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Frage, welches Image die jeweiligen Räume haben und ob es eine ortsunabhängige Wertschätzung von Arbeit gibt. Wird Präsenzarbeit noch immer als engagierter oder irgendwie „höherwertig“ eingeordnet als mobile Arbeit oder hat sich das „mobile mindset“ flächendeckend etabliert?

Welchen Mehrwert bietet die Studie für die Aussteller der ORGATEC?

Die Studienergebnisse könnten sowohl für Bürogestalter als auch für Hersteller relevant sein. Ein Untersuchungsbereich sind insbesondere die „Wechseltypen“ der Raumnutzung, wobei es vor allem um Individualisierung geht. Es ist wichtig zu wissen, welches die Attraktoren für die Arbeitsumgebung zu Hause und im Büro sind. Was braucht der Mensch wo? Aus den alten und neuen Bedarfen kann abgeleitet werden, mit welchen Produkten das am besten zu erfüllen ist.

In welchem Zusammenhang steht die Studie mit dem Symposium „Menschen in Räumen“ auf der Messe?

Wir stellen die Ergebnisse der Studie dort vor. In der mittlerweile 6. Ausgabe findet das Symposium in diesem Jahr am 26. Oktober auf der ORGATEC statt. Unser Institutsleiter Prof. Dr. Philipp Leistner wird durch die Veranstaltung führen. Das Programm beinhaltet wissenschaftliche Vorträge aus der anwendungsnahen Forschung, die von fast allen Abteilungen aus unserem Institut abgedeckt werden. Außerdem werden externe Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis das Symposium bereichern. Dabei wird es zum Beispiel um Best Practice Beispiele und technische Lösungen gehen. Das Symposium beleuchtet sowohl die Nutzersicht als auch die Perspektive der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

 

Welchen inhaltlichen Fokus setzen Sie für das Symposium?

Inhaltliche Schwerpunkte sind „Hybride multilokale Arbeitswelten“. Im Fokus stehen bei uns immer die Arbeitsräume, die zugleich eng mit der Arbeitsorganisation verbunden sind. Zum einen geht es um den pandemiebedingten Wandel in der Arbeitswelt mit der Etablierung von Homeoffice und hybriden Arbeitsweisen. Hier zeichnen sich mittlerweile durch verschiedene Studien eindeutige Trends ab. Das mobile Arbeiten wird als feste Größe bleiben, was die Bedeutung von Desksharing und der wechselseitigen Nutzung von Arbeitsräumen noch verstärkt. Dabei gewinnen neben dem Homeoffice auch „third places“ an Bedeutung. In diesem Zusammenhang dürfen wir uns auf einen Vortrag von Prof. Dr. Axel Minten freuen, der über Co-Working-Spaces als wichtige dritte Arbeitsorte sprechen wird.

Gibt es weitere thematische Schwerpunkte?

Das Thema Luftreinigung wird im Vortrag von unserer Kollegin Frau Dr. Andrea Burdack-Freitag thematisiert. Gebäudenutzerinnen und -nutzer haben heute diesbezüglich ein verstärktes Sicherheitsbedürfnis. Zudem besteht hier nach wie vor akuter Handlungsbedarf. Neben der Pandemie gibt es die Herausforderung, Büroräume nachhaltiger zu gestalten und energiesparender zu betreiben. Unser Kollege Rafael Horn wird das mobile Arbeiten daher aus der Ökobilanz-Perspektive betrachten. Als absolute Expertin auf ihrem Gebiet wird Frau Professor Dr. Anna Steidle über Lichtwirkungen im Kontext von Arbeit und Erholung im Büro sprechen. Auch dieses Thema ist natürlich hoch gestaltungsrelevant. Wichtig ist uns außerdem, verschiedene Perspektiven einzunehmen und neben der Nutzer- und Mitarbeiterseite auch die Arbeitgeberseite im Kontext des mobilen Arbeitens zu begreifen. Daher freuen wir uns, dass wir Frau Dr. Elisa Clauß von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände als Vortragende gewinnen konnten. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind schließlich für die räumlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Gestaltung guter Büroumgebungen verantwortlich, die für das Homeoffice gerade erst erarbeitet werden.

Werden weitere Beispiele aus der Praxis vorgestellt?

Im Rahmen unserer Büroinitiative (BI) arbeiten wir in einem interdisziplinären Netzwerk mit Bürobetreibern, Herstellern und Gestaltern zusammen. Hierbei geht es um die Entwicklung von Lösungen und um den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis. Matthias Lücke von unserem BI-Kooperationspartner EPOS wird in seinem Vortrag über die technischen Herausforderungen der Kommunikation und Lösungen für hybride, multilokale Arbeit sprechen. Und ich freue mich auch sehr auf den Vortrag des Architekten Stefan Camenzind, den die NZZ kürzlich als „berühmtesten Bürobauer der Schweiz“ beschrieb. Er wird darüber sprechen, was Büros nach der Pandemie brauchen, um Menschen im Büro und im Unternehmen zu halten.

Was macht denn in Ihren Augen eine gute Arbeitsumgebung aus?

Aus unserer Sicht sollten für eine gute Arbeitsumgebung vor allem die grundlegenden Nutzerbedürfnisse nach physischem und psychischem Wohlbefinden, Störungsfreiheit, Privatheit, kreativer Inspiration und Austausch erfüllt werden. Das ist aber selbst in vielen modernen Arbeitsumgebungen nicht selbstverständlich. So schränken zum Beispiel oftmals störende Gespräche im Hintergrund die Leistungsfähigkeit und Privatheit von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein. Im Labor haben wir gezeigt, dass bis zu 16 Prozent sofortiger Leistungseinbruch bei kognitiven Aufgaben die Folge sind. Solche unzureichenden Umgebungsbedingungen führen unter anderem zur Unzufriedenheit der Belegschaft. Gute Akustik und Beleuchtung sowie ein gutes Raumklima dienen der Erfüllung von Grundbedürfnissen, die für die Umsetzung von Bürokonzepten leitend sein sollten. Das klingt trivial, aber in der Praxis sehen wir in vielen Fällen große Verbesserungspotenziale in diesen Bereichen.

 

Hat sich die Relevanz von Studien wie „Raumwechsel!“ mit der Pandemie erhöht?

Ich könnte mir vorstellen, dass nun das öffentliche Interesse größer geworden ist. Wir befinden uns nach dem Ende der Homeoffice-Pflicht gerade in einer Phase, in der das Büro wieder reintegriert wird. Viele Arbeitgeber sind jetzt zeitgleich im Gestaltungsprozess und benötigen entsprechende Hinweise und Antworten aus solchen Studien. Neben den grundlegenden Nutzerbedürfnissen gibt es nun zusätzliche Ansprüche, zum Beispiel an erhöhte Flexibilität, Digitalität, Sicherheit oder Infektionsschutz. Wenn man die Mitarbeitenden zurück ins Büro holen möchte, muss man diese Bedürfnisse ernst nehmen. Diese sich neu entwickelnden Anforderungen an die Arbeitsumgebung sind auch schon Teil der Forschung. In Forschung und Praxis bleibt aber noch viel zu tun, denn wir befinden uns noch mitten im Prozess.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: ORGATEC/Koelnmesse GmbH

www.orgatec.de

www.ibp.fraunhofer.de


Fraunhofer Symposium „Menschen in Räumen“
Das Fraunhofer Symposium „Menschen in Räumen“ findet auf der ORGATEC am 26. Oktober 2022, 10:00 - 17:00 Uhr, Offenbachsaal, statt. Mit diesem bringt das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP alljährlich Forschung und Praxis, Wissenschaftler:innen, Architekt:innen, Planer:innen, Unternehmen und Hersteller zusammen. 2022 widmet sich das MiR-Symposium den Herausforderungen der Gestaltung hybrider Arbeitswelten, mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, inspirierende Keynotes und Best Practice Beispielen, mit spannenden Beiträgen aus Wissenschaft, Architektur und Unternehmenspraxis.
Die Teilnahme am Symposium ist für Messebesucher:innen der ORGATEC kostenlos, eine separate Anmeldung zum Symposium hier erforderlich.