Zimmer mit Aussicht und Perspektive

Was passiert, wenn Design, regionales Handwerk und uralte Traditionen verwoben werden? Das Designstudio Lucy.D hat das Experiment gewagt und mit „Zimmer mit Aussicht“ ein Slow-Hotel-Konzept mitsamt Möbelkollektion entwickelt. Die Idee wurde zu Hotelzimmern und Design-Kreationen – und der Roll-out mit Weiterentwicklung zur Marke folgt. Designerin Karin Santorso lässt uns einchecken und gibt Einblicke in das außergewöhnliche Projekt.
Von Sylvia Pilar

Was steckt hinter und im „Zimmer mit Aussicht“?

Karin Santorso: „Zimmer mit Aussicht“ ist ursprünglich ein zur Kulturhauptstadt Bad Ischl initiiertes und realisiertes Projekt. Insgesamt wurden elf Zimmer im Salzkammergut gestaltet.

Die Grundidee war, die ganze Region in ihrer Schönheit und Besonderheit aufzugreifen und in bestehenden Hotels, Pensionen & Co dieses Konzept umzusetzen.

Wir wollten kein neues Hotel oder eine neue Location kreieren. Es gibt so viele charmante Unterkünfte, die fest in der Region verwurzelt sind, viel Tradition und Atmosphäre mitbringen. Also haben wir die Hotels gecastet, dann dort jeweils ein Zimmer ausgesucht, das auch tatsächlich eine besondere Aussicht hat, und mit zeitgenössischem Design, das auch einen Bezug zur Region hat, als „Zimmer mit Aussicht“ eingerichtet. Dafür sind wir auf Spurensuche nach Materialien, Handwerkstechniken und anderen Spezialitäten der Region gegangen und haben sie in neuen Designobjekten zeitgemäß interpretiert. Daraus ist schlussendlich eine Kollektion an Produkten entstanden, die es im Hotelzimmer braucht: Sitzmöbel und Lampen, Spiegel und Betthaupt, Teppiche und Textilien, die alle regional mit den Handwerksbetrieben in der Region umgesetzt wurden.

 

Sorgt die Kollektion für einen einheitlichen Look?

Jedes Zimmer ist mit denselben Objekten ausgestattet und gemeinsam ist ihnen, die durch diese gleichen, nachhaltig gestalteten Designobjekte und regionale Materialien zeitgenössische und autochthone, also für das Salzkammergut typische, Formensprache. Gleichzeitig haben sie alle auch eine individuelle Optik, weil ja die Unterkünfte und die Grundrisse unterschiedlich sind. Für die farbliche Stimmigkeit haben wir eigens eine Salzkammergut-Farbpalette mit Farben von Farrow&Ball kreiert. Damit hat jedes Zimmer ein eigenes Ambiente und Gäste können immer ein anderes „Zimmer mit Aussicht“ genießen.

Es ist auch mehr als nur ein Hotelzimmer. Wir schaffen mit „Zimmer mit Aussicht“ eine Marke, die für Unterkünfte mit klarer Haltung, Regionalität, Handwerk und zeitgenössisches Design steht.

Wie gelingt ein solch vielschichtiges Designprojekt?

Barbara Ambrosz und ich haben uns hinein getigert und als kreative Erweiterung auch andere Gestalter:innen eingeladen, je ein Salzkammergut typisches Objekt für die Gästezimmer zu entwerfen. So ist zusammen eine Kollektion an spannenden Produkten entstanden, die von 19 regionalen Handwerksbetrieben produziert wurden und in elf Zimmern in acht Hotels eingezogen sind.

Bei „Zimmer mit Aussicht“ geht es um den Cross-Over von modernem Design und Handwerk, Altem und Neuem. Das ist ein ganz wichtiger Punkt und eng verflochten.

Mit regionaler Handwerkskunst lassen sich Kund:innen absolut begeistern. Das ist uns auch ein Anliegen und wir wollten mit dem Projekt Reisenden die Region mit all ihren Facetten näher bringen. Daher haben wir auch versucht, verschiedenste Aussichten in den Zimmern zu generieren. Vom Bergblick bis zum Naturdschungel ist alles mit dabei. Außerdem wollten wir aufzeigen, welch tolles Kulturerbe es gibt und wie es sich weiterentwickeln lässt. Es ist gut, Bestehendes aufzugreifen, gleichzeitig aber keine Scheu zu haben, es neu zu interpretieren und so wieder zu beleben.

 

Geht es nur um Zimmer oder um das ganze Hotel?

Grundsätzlich nur die Hotelzimmer, aber einige Hotels haben davon ausgehend Lust bekommen, auch andere Bereiche neu zu gestalten. Sie haben festgestellt, dass sie nicht alles neu machen müssen, um Neues zu bewirken, weil auch wir bewusst bestehende Elemente in den Zimmern belassen haben. Dadurch ist ein besonderer Mix von Altem und Neuem entstanden.

Welche Möbel sind entstanden? Was zeichnet ein „Zimmer mit Aussicht“ aus?

Wir haben fünf Themen auserkoren. Eines der Themen war „Holz + Brettschnitt“, den wir in einer Serie von Sitzmöbeln mit Fauteuil, Sofa und Sessel frisch interpretiert haben, die vom Massivholzmöbel-Hersteller Trewitt aus Scharnstein produziert werden und nicht nur bequem und optisch schön sind, sondern natürlich auch funktionell top für Hotels.

Die Trachten und die dazu passenden Stoffe wurden ebenfalls in unserem Designstudio und zum Thema „Tracht + Textil“ zu einem neuartigen Himmelbett gestaltet. Das Bett ist im Hotelzimmer natürlich ein zentrales Element und wir wollten in jedem Zimmer, dass es so positioniert ist, dass die Aussicht auch von dort aus genossen werden kann. Wir haben die bestehenden Betten um einen textilen Himmel ergänzt, der hinter dem Bett als Betthaupt nach unten verläuft, und in diesem Bereich unter anderem auf JOKA und Vieböck Leinen gesetzt. Die Leinenstoffe kommen übrigens auch bei den Vorhängen zum Einsatz und außerdem haben wir im Bereich Textil eine Teppichkollektion entworfen, die von der Weberei Sickinger in Bad Ischl gewebt wurde.

Ein weiteres Thema war „Natur + Raschgras“. Mit dem Raschgras haben wir ein dünnes, aber widerstandsfähiges Gras entdeckt, das über 150 Jahre vielerorts verwendet und als Füllung von Matratzen sowie sogar zur Dämmung von Häusern genutzt wurde. Geblieben sind nur Patschen und eine kleine Gruppe an Frauen, die diese herstellen können. Mit dem Projekt „Zimmer mit Aussicht“ findet sich Raschgras nun in einer von KIM+HEEP entworfenen Pendelleuchte wieder, die sich dank eines kleinen Motors auch drehen kann, sodass es wirkt als würde sich Gras im Wind bewegen.

 

Das Thema Natur ist zentral?

Es prägt auch ein weiteres Thema, „Jagd + Tierwelt“, zu dem mischer‘traxler Studio die Spiegelobjekte „Hide+Seek“ entworfen haben. Das Besondere ist, dass wenige Zentimetern vor dem Spiegel ein Laserausschnitt einer Landschaft ruht, unscheinbar, weil erst beim näheren Herantreten diese Szenen aus dem Wald und mit wildlebender Tierwelt sichtbar werden.

 

Last but not least komplettiert Salz in Verbindung mit dem in der Region vorkommenden Stein das Themen-Quintett. Das französische Architektenteam von inFABric gestaltete zum Thema „Salz + Mineralien“ ein Trinkritual aus Glas und Stein. Dabei steht auf einer Steinplatte ein Sole-Trinkset mit zwei Gläsern und einer Karaffe, an der ein Salzstein angebracht ist und beim Einschenken etwas Salz an das Wasser abgibt.

 

Ein vielfältiger Kreationsmix. Gibt es denn überhaupt ein „key piece“ bei der Gestaltung eines Hotelzimmers?

Alle Elemente sind wichtig und ihr Zusammenspiel ist entscheidend. Die Objekte, die für „Zimmer mit Aussicht“ gestaltet worden sind, sind auch nicht zufällig entstanden. Ein Hotelzimmer ist immer ein bisschen die Reduktion auf das Wesentliche. Es gibt Key-Objekte, auf die haben auch wir uns konzentriert und reduziert, und den ganzen Klimbim weggelassen. In einem Hotelzimmer muss auch Raum zum Atmen für die Gäste bleiben. Sie sollen sich wohlfühlen, aber auch noch selber spüren können. Ich finde es generell bei Design und all unseren Designobjekten wichtig, dass sie so gestaltet sind, dass nicht alles vordefiniert ist, sondern ein gewisses Prozent an Möglichkeiten für Benutzer:innen bleibt, sie auf ihre eigene Art und Weise zu erobern.

Ist „Zimmer mit Aussicht“ abgeschlossen oder gibt es eine Fortsetzung?

Das Projekt war auf das Salzkammergut bezogen, jetzt erfolgt das Roll-out. Wir wollen es für andere Regionen und ganz Oberösterreich übersetzen. Erst vor kurzem haben wir in ein POP-UP ZIMMER MIT AUSSICHT in Steyr geladen, um einen Eindruck zu vermitteln, und verfolgen das Projekt weiter mit viel Engagement.

Das Ziel ist es, „Zimmer mit Aussicht“ zu einer neuen Marke für Resonanztourismus in Oberösterreich zu machen. Es soll ein Produkt für ganz Oberösterreich werden und doch regional einzigartig sein.

Dafür werden wir die Palette der Interiorelemente um regionale Farben, Materialien und handwerkliche Besonderheiten erweitern und die Designkollektion adaptieren. Es bleibt also spannend.