„Circular Design ist keine Raketenwissenschaft“

Komfort und Kreislaufwirtschaft sind ein „perfect match“. Dies beweist MATR. Das junge, mehrfach ausgezeichnete Wiener Start-up denkt in jeder Hinsicht über den Tellerrand hinaus und setzt als Pionier bei kreislauffähigen Matratzen neue Benchmarks. Wie dies gelingt, wo noch Potenzial schlummert, warum der Netzwerkgedanke „unumgänglich“ und ein gemeinsames Commitment entscheidend ist, verrät die „Chief Dream Officer“ Verena Judmayer, Geschäftsführerin und mit Michaela Stephen Gründerin von MATR, im wohninsider-Talk.
Von Sylvia Pilar

Was zeichnet MATR aus?

Verena Judmayer, Co-Gründerin, Geschäftsführerin & „Chief Dream Officer“: Unser Motto ist „Make sleep matter“ und genau darum geht es: Mit Schlaf einen Unterschied machen, für Mensch und Umwelt. Das „R“ in MATR wird bewusst andersherum geschrieben, darin spiegelt sich unsere Idee wieder: Dinge anders zu machen, ganz im Einklang mit den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu agieren. 

Dieser Weg des Circular Design, schon von Beginn an zu überlegen, was am Lebenszyklus-Ende des Produkts damit passiert und es so zu gestalten, dass die einzelnen Materialien wiederverwendet werden können, zeichnet uns aus.

Dabei konzentrieren wir uns auf Matratzen und unterstützen unsere Kunden als eine Art One-Stop-Shop auch mit Rücknahme- und Recyclingservices. Auf das Thema sind Michaela Stephen und ich zufällig gestoßen und uns haben die Zahlen schockiert, dass 30 Millionen Matratzen jährlich alleine in Europa entsorgt und einfach verbrannt werden. Das ist nur die offizielle Zahl, die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher, und entspricht 20 Mal dem Eiffelturm. Auf Österreich heruntergebrochen sind es rund 1,4 Millionen entsorgte Matratzen im Jahr, was so viel wie 80 Mal der Großglockner ist.
Wir wollten hier einen Kontrapunkt setzen und eine neue Perspektive einbringen, weil das Ende des Matratzen-Lebens kein Grund ist, sie nur zu verbrennen und damit Material zu vernichten, das der Natur entnommen wurde und als wertvoller Rohstoff wieder zu neuen Produkten werden kann.

Es ist eine Frage der Sichtweise: Was für andere ein Abfallproblem ist, sehen wir als Chance, wertvolle Ressourcen zu nutzen.

Das Start-up ist in diesem Bereich Pionier und Leuchtturm...

In Österreich waren wir auf jeden Fall die Ersten. Als wir vor rund drei Jahren mit MATR und unseren MATR®-Matratzen gestartet sind, gab es schon erste Pioniere in Europa im Bereich Kreislaufwirtschaft, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Damals war die Zeit aber noch nicht ganz so reif wie jetzt. Mittlerweile ist das Thema viel breitenwirksamer, in den letzten Jahren hat sich in der Branche einiges bewegt. Ein Meilenstein war mit Sicherheit die Gründung der österreichischen Matratzenallianz 2024, deren Gründungsmitglied wir gemeinsam mit Neveon, Betten Eberharter und dem ClimateLab sind. Ein klares Zeichen für die Transformation zur Kreislaufwirtschaft und ein Schulterschluss, gemeinsam an Maßnahmen und Lösungen zu arbeiten. Erstmals wird die Zusammenarbeit von Unternehmen und Organisationen entlang der ganzen Matratzen-Wertschöpfungskette forciert.

 

Welchen Ansatz verfolgt MATR in puncto Matratze?

Wir setzen aus zwei Richtungen an, einerseits dem Matratzendesign, andererseits dem Thema Service rund um die Matratze. Mit kreislaufwirtschaftlichen Designkriterien zu starten ist so wichtig, weil rund 80 Prozent der Umweltauswirkungen in der Designphase festgelegt werden.

Am Anfang des Designprozesses hat man alle Zügel in der Hand, insbesondere jene für Kreislaufwirtschaft wie lange Nutzung, Reparatur, Wiederaufbereitung und Recycling.

An diesem Punkt lässt sich bestimmen, wie lange das Produkt leben kann, wie gut es genutzt werden kann, und ob sich während der Nutzungszeit noch weitere Möglichkeiten eröffnen, zum Beispiel indem sich der Bezug abnehmen und reinigen lässt, aber auch wie, ob und wie gut sich schlussendlich die einzelnen Materialien auch wieder trennen und so erneut in eine sinnvolle Verwertung bringen lassen.

Circular Design ist keine Raketenwissenschaft. Es ist ein minimalistischer Ansatz. Es geht darum möglichst wenig verschiedene, stattdessen möglichst reine Materialien zu verwenden, um die Produkte optimal recyceln zu können. Wir setzen zum Beispiel bei den Bezügen auf 100 Prozent Polyester und nach Nutzungsende wird daraus wieder Polyester für verschiedenste Anwendungen. Wir versuchen die Qualität des Materials über den ganzen Lebenszyklus hinweg zu behalten und in unseren Matratzen steckt auch bereits ein gewisser Anteil an recycelten Materialien. Beim Schaumstoff arbeiten wir beispielsweise mit dem österreichischen Produzenten NEVEON zusammen und nutzen deren CO2-optimierten Kaltschaum, der zu einem um rund 70 Prozent geringerem CO2-Fußabdruck führt, sehr langlebig und wesentlich leichter als andere Schaumstoffe ist, was auch beim Transport Emissionen und Kosten spart. Bei unseren Modellen nutzen wir, wenn möglich, Steckverbindungen und ansonsten sortenreinen Klebstoff, der mit Click-Unclick-Technologie wieder lösbar ist.

Wo werden die MATR-Matratzen produziert?

Wir arbeiten je nach Modell mit Produktionspartnern in Österreich oder anderen EU-Staaten. Wir legen größten Wert darauf, dass unsere Produktionspartner in der EU und auch die Zulieferer aus Europa sind, also kurze Transportwege und europäische Wertschöpfung. Außerdem haben unsere Produkte jetzt schon einen digitalen Produktpass, auch hier setzen wir auf Partnerschaften. Transparenz ist uns wichtig.

 

Hersteller und Handel sehen sich mit Verordnungen, die Kreislaufwirtschaft betreffen, konfrontiert, verbunden oft mit gewissen Ängsten. Wie lassen sich diese Befürchtungen zerstreuen?

Aus meiner Sicht kann man kann sich immer bewusst entscheiden, ob man Entwicklungen als Problem oder als Chance sieht. Wir haben anfangs ein Abfallproblem vor uns gehabt, und das dann als Möglichkeit gesehen, um ein neues Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen. Kreislaufwirtschaft als Chance zu betrachten ist eine Frage des Mindsets. Wir sehen die Regulierungen als Push, weil dadurch mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wird, und mehr und mehr Unternehmen sich damit beschäftigen, aktiv werden und neue Produkte auf den Markt bringen. Auch das sehe ich positiv und nicht als Konkurrenzsituation.

Für die Veränderung braucht es mehr als nur ein Start-up, sondern einen Schulterschluss in der ganzen Branche.

Je mehr etwas tun desto mehr bringt es für alle. Als „first mover“ betreibt man erst einmal viel Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsbildung, und es braucht natürlich Zeit. Aber Angst bringt sie uns nicht weiter, sondern lähmt.

MATR hat sich auf die Hotellerie fokussiert. Wie gelingt es, sich mit einem kreislauffähigen Produkt in einem so preissensitiven Segment zu positionieren?

Gefühlt sind alle preissensitiv, Hotellerie wie Endkonsument:innen. Unser Fokus liegt ganz klar auf dem Hotellerie- und Gewerbekundenbereich, vor allem auf Hotels mit Nachhaltigkeitsfokus, weil unsere Produkte qualitativ hochwertig und in eben dieser Preiskategorie angesiedelt sind.

Wir spielen aber mittlerweile preislich in derselben Liga wie andere Produkte, darauf sind wir sehr stolz, weil Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich sein muss.

Schlussendlich ist wichtig, dass der Kauf unserer Matratzen ein gutes Investment in ein Produkt ist, dessen „Total Cost of Ownership“, also die Gesamtkosten während des gesamten Lebenszyklus, sogar geringer ausfällt als bei günstigen Standardmatratzen. Das liegt nicht zuletzt an unseren Services, der Waschbarkeit der Bezüge bis hin zum Einsatz von Toppern, mit denen sich die Abnutzung mindern und der Lebenszyklus verlängern lässt.
 

Die Matratze spielt im „System Bett“ ja eine zentrale Rolle...

Sie spielt eine riesige Rolle. Leider wird trotzdem zu oft nicht das erforderliche Budget für gute Produkte, die für guten Schlaf sorgen, in die Hand genommen. Gerade in der Hotellerie wird auf buchungsentscheidende Kriterien geschaut und hier kann mit einem schönen Wellnessbereich oder einer coolen Bar auf den ersten Blick mehr gepunktet werden. Gleichzeitig ist guter Schlaf für die Zufriedenheit der Gäste der wichtigste Faktor. Das ist umso spannender als Untersuchungen zeigen, dass nur ein Drittel der Gäste gut in Hotels schläft und dazu neigen, negative Bewertungen zu hinterlassen. Hier gibt es also noch viel Potenzial.

 

Sind Komfort und Kreislaufwirtschaft gute Sparringspartner?

Definitiv. Für uns war von Anfang das Wichtigste, dass die Matratze die Grundanforderungen, sprich Komfort, Ergonomie sowie gute Durchlüftung, erfüllt und wir gehen noch mindestens einen Schritt weiter. Im letzten Jahr haben wir eine Produktvariante entwickelt, die besonders den Bedürfnissen von Hotelgästen und Housekeeping gerecht wird, indem sie über Wendekern und damit zwei Härtegraden, optionale Kombination mit Topper, einen abnehm- und waschbaren Bezug, Griffe an den Seiten und einen leichteren Schaumstoff als üblich verfügt.

Am Ende ist es die Kombination mit den Service-Leistungen, die neben dem Design MATR auszeichnet: das reicht von Lieferung und Montage bis dahin, dass wir die Matratzen am Ende zurücknehmen und uns ums Recycling kümmern.

Den Prozess des Recyclings haben wir so aufgesetzt, dass wir die Matratzen zu unseren Produzenten zurückbringen, diese bei einem Recyclingpartner in der Nähe zerlegt werden und die Materialien wiederverwendet werden.


Wie wichtig ist Networking, um Kreislaufwirtschaft bei Matratzen stärker ins Blickfeld zu rücken?

Der Netzwerkgedanke ist bei und für Kreislaufwirtschaft unumgänglich. Es funktioniert nicht alleine.

Wenn Kreislaufwirtschaft wirklich etabliert werden soll, müssen alle mitmachen. Und man muss über den eigenen Tellerrand hinausschauen.

Wir haben von Anfang an mit Partnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammengearbeitet und sehen das als win-win-Situation. Wir sind in laufendem Austausch mit den Mitgliedern der österreichischen Matratzenallianz, aber auch mit anderen Anbietern, die teilweise auch die gleiche Zielgruppe bedienen. Co-opetition, also die Zusammenarbeit zwischen Mitbewerbern, ist die Zukunft.
Es ist wichtig zu wissen, was andere Profis in dem Bereich machen, aber der falsche Weg, sich innerhalb Österreichs gegenseitig ein Bein zu stellen. Wir sollten für eine gemeinsame Marke Österreich stehen. Es braucht ein gemeinsames Commitment. So können wir uns differenzieren und dem Mitbewerb aus anderen Ländern stark und stärker begegnen.

Wo steckt noch Potenzial?

Eine Herausforderung sehe ich in der Frage, was mit am Markt existierenden, in den nächsten Jahren zurückkommenden Matratzen geschehen kann, die noch nicht mit dem Design gemacht wurden, um optimal recycelt zu werden. Spannende Möglichkeiten sehe ich daher beim Thema Refurbishment und Reuse, und der Frage, wie in den Köpfen der Konsument:innen das Image von gebrauchten Matratzen positiv gedreht werden kann. Ich bin überzeugt, dass sich bei Matratzendesign noch einiges tun wird, vor allem die Materialien betreffend. Mein großer Traum ist eine Matratze ausschließlich aus Naturmaterialien, die auch wirklich wieder zurück zur Natur gehen kann. Aktuell werden Naturmatratzen ja noch genauso verbrannt wie alle andere. Im Netzwerk zwischen den Partnern entlang der Wertschöpfungskette gibt es auch noch viel mehr Potenzial und trotz verschiedener Ansätze werden die Möglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Da ist noch Platz für viele innovative Geschäftsmodelle. Und auch wir bei MATR haben große Pläne und viele Ideen.

 

www.matr.eco