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Corona und die Auswirkungen auf die Branche

31.03.2020 10:03

Gerhard Habliczek sprach mit Mag. Andreas Kreutzer, Geschäftsführer der BRANCHENRADAR.com Marktanalyse GmbH.


Mag. Andreas Kreutzer (Foto privat)

wohninsider: Glauben Sie, dass sich durch die Quarantäne das Thema „Online“ verstärken wird? Dass sich der Handel zum Beispiel auf virtuelle Schauräume verstärkt konzentrieren sollte bzw. wird?

Mag. Andreas Kreutzer: Vorweg: Die Auswirkungen des wirtschaftlichen Shutdown im Zuge der Coronakrise sind zum jetzigen Zeitpunkt (30. März 2020) in keinster Weise abschätzbar. Beurteilungen und Analysen sind daher als Momentaufnahmen zu verstehen mit einem vergleichsweise großen spekulativen Element. Deshalb halten wir uns im Gegensatz zu anderen Beratern auch mit kurzfristigen Prognosen so weit wie möglich zurück, halten den Ball also flach.

Dass der Onlinehandel in vielen Warengruppen zumindest ein gewisses Maß an Versorgung sichert ist zum einen beruhigend. Zum anderen werden durch die krisenbedingt höhere Nachfrage aber auch die momentanen Grenzen skizziert, etwa bei den Logistikkapazitäten oder den Lieferzeiten. Ob die Engpässe kurzfristig beseitigt werden können? Ja, wahrscheinlich. Ob die erhöhten Kapazitäten langfristig notwendig sind, ist allerdings nicht so sicher. Denn, wenn wieder Normalität den Alltag bestimmt, könnte das Pendel rasch zurück schwingen, stationär einkaufen attraktiver sein als zuvor. Zumindest für eine bestimmte Zeit.

Insofern bietet sich virtuellen Schauräumen nun für ein paar Wochen die Möglichkeit eines erweiterten Praxistests unter besonderen Umständen. Dadurch ist es möglich mit einer höheren Fallzahl von Nutzern die Tools zu testen und zu optimieren. Ob sich dadurch die Nutzung virtueller Beratung und Planung auch auf lange Sicht beschleunigt, ist jedoch ungewiss. Für die wohl überwiegende Mehrheit der Konsumenten kann eine Onlineberatung den persönlichen Kontakt zum Verkäufer oder Planer wohl nicht wirklich ersetzen. Wobei sich diese Annahme auf eine empirische Evidenz aus der Fensterbranche stützt. Hier hat es vor etwa drei Jahren ein Anbieter mit virtuellen Schauräumen versucht. Das Projekt floppte.

 

wohninsider: Wird Ihrer Meinung nach beim Konsumenten ein Umdenken zugunsten des regionalen Fachhandels einsetzen? (Entglobalisierung)

Mag. Kreutzer: Wir sollten bei all der Tragik der Pandemie eines nicht vergessen: Menschen vergessen rasch. Im Jahr 2004/2005 hat die Virusgrippe in Deutschland 20.000 Todesopfer gefordert, über sechs Millionen Menschen wurden infiziert, rund 2,4 Millionen Erwerbstätige wurden krank geschrieben. Das Leben in Deutschland hat sich danach aufgrund der Epidemie- Erfahrungen nicht wirklich verändert. Ja, es gab damals keine Geschäftsschließungen und keine Ausgangsbeschränkungen und die Medien hatten neben den Berichten zur Grippewelle auch andere Themen auf ihren Titelseiten. Deshalb werden die Erfahrungen dieser Wochen sicher länger im kollektiven Gedächtnis bleiben. Ob sich deswegen auf lange Sicht auch das Einkaufsverhalten auf breiter Front verändern wird, wage ich zu bezweifeln. Eigentlich wünschen sich doch die meisten, dass es wieder wird, wie es war.

 

wohninsider: Wird nach Corona im österreichischen Haushalt für Möbel mehr Budget zur Verfügung stehen? Urlaubsreisen werden ja eher weniger stattfinden.

Mag. Kreutzer: Warten wir ab, wie lange die Einschränkungen bestehen und wie sich die Lage bis zum Sommer entwickelt. Möglicherweise kommt es Ende Juni zu einem Run auf die Reisebüros... oder halb Österreich ist im Herbst auf Urlaub.

Doch Spaß beiseite, dass künftig wieder mehr in Möbel investiert werden könnte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Durch die Ausgangsbeschränkungen sind die Menschen gezwungen sich wieder mehr mit ihrem Zuhause auseinanderzusetzen. Da fällt einem dann auf, dass das Sofa schon etwas abgewetzt, die Küche bereits angegraut ist. In den letzten Jahren befanden sich die Ersatzinvestitionen bekanntlich auf Talfahrt. In der Tat könnte die Coronakrise für eine Trendwende sorgen.

 

wohninsider: Wird die Direktvermarktung für die Industrie ein stärkeres Thema?

Mag. Kreutzer: Die Direktvermarktung über One Label Shops, in bestimmten Warengruppen auch über eigene Onlineplattformen, war schon vor Corona ein Thema und wird es auch danach bleiben. Dabei geht es im Wesentlichen darum, die Abhängigkeit von Filialisten und Einkaufsverbänden zu reduzieren und das eigene Angebot wirksamer aus der Vergleichbarkeit mit Konkurrenzprodukten zu nehmen. Für einen erheblichen Teil der Möbelindustrie ist Direktvermarktung allerdings mit einem Systemwechsel verbunden, nicht nur prozesstechnisch, sondern auch kognitiv. Viele stellen sich das leichter vor, als es tatsächlich ist. Denn die Fähigkeiten und Kompetenzen, die für den Verkauf an Endkunden benötigt werden, sind vielerorts einfach nicht vorhanden. Wenn man über Jahrzehnte gelernt hat, dass die Wertschöpfungskette am Werkstor endet, ist es nicht leicht so ohne weiteres und spontan darüber hinaus zu denken. Einzelhandel muss gelernt sein, Onlinehandel übrigens auch.

 

wohninsider: Wie wird sich das Thema Home Office auf die Büromöbelbranche auswirken? Sind Großraumbüros Geschichte?

Mag. Kreutzer: Ich sehe hier nicht wirklich einen Zusammenhang. Eine Studie, die wir 2017 für einen internationalen Chemiekonzern durchführten, kam zum Ergebnis, dass die Arbeitsproduktivität im Home Office in der Regel geringer ist als am Büroarbeitsplatz. Die Leistung fällt gegenüber dem Büroarbeitsplatz umso deutlicher ab, je größer die Ablenkungen zu Hause sind, etwa wegen Betreuungspflichten, und je höher der Koordinationsbedarf mit Kollegen innerhalb des eigenen Unternehmens ist. Lediglich bei Mitarbeitern, die häufig außer Haus alleine arbeiten war kein signifikanter Leistungsabfall messbar.

Die Simulation von Home Office-Atmosphäre im Büro kann daher nicht das Ziel sein. Trotzdem könnte der Trend zu Open Space-Lösungen oder Smart Offices wieder abflachen, wenn man versteht, dass der so gewonnenen Flächenproduktivität, Nachteile in den Arbeitsprozessen gegenüber stehen. Denn im Vergleich zu Gruppen- oder Kombibüros sinkt auch in Open Space Büros die Arbeitsproduktivität nachweislich infolge zu großer Ablenkung, etwa durch störende Akustik. Mit dem Konzept Smart Offices will man dem zwar entgegen wirken, da die meisten Arbeitsplätze in Smart Offices aber „on Demand“ sind, fehlt vielen Beschäftigten das für eine gute Arbeitsatmosphäre notwendige Gefühl des „eigenen Platzes“. Oder warum sonst platzieren viele am Schreibtisch oder Rollcontainer Persönliches oder pinnen Fotos an die Trennwände? Für einen produktiven Kommunikationsfluss im Unternehmen muss man nicht zwingend Wände entfernen. Man braucht nur für Spaß an der Arbeit zu sorgen.

 

wohninsider: Die Staatsbudgets werden schwer belastet ... was bedeutet das für den sozialen Wohnbau bzw. auch für die Immobilienbranche – Förderungen usw.?

Mag. Kreutzer: Wenn ich den Finanzminister richtig verstanden habe, gibt es nach der Krise mal ein Konjunkturpaket. Das kostet ebenfalls. Danach wird wohl wieder kräftig gespart werden. So ist etwa durchaus vorstellbar, dass die nächsten Pensionsrunden verhalten ausfallen, weil Solidarität ja nicht immer eine Einbahnstraße sein kann. Aktuell zeigen sich ja die Arbeitenden mit den Rentnern solidarisch. Ob die Wohnbauförderung gekürzt wird, ist noch nicht abschätzbar. Solange die Mieten steigen, eher nicht. Denn nur eine steigende Leerstandsrate drückt auf die Mieten. Und um das zu erreichen, muss mancherorts noch ganz schön viel neu gebaut werden. Zudem schiebt ein florierender Wohnbau die Konjunktur an. Bei den Umweltförderungen (etwa für die thermische Sanierung oder die Umrüstung der Heizsysteme) möchte man – wenn gilt, was vor Corona geplant war – noch zulegen. Alles in allem gehe ich daher diesbezüglich mittelfristig von keinen substanziellen Kürzungen aus.

 

www.kfp.at
www.branchenradar.com

 

 








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