More Magic Moments

Wolfgang Gruschwitz liebt, kreiert und bewertet Shopkonzepte, Ladenbau und Design. Als Juror der global innovation awards sieht er zudem seit nunmehr 20 Jahren die herausragendsten Shopkonzepte weltweit. wohninsider sprach mit dem charismatischen Münchner über Roboter, Flashmobs und die Unterschätzung des Verkäuferberufs.

 

Von Lilly Unterrader

Wolfgang, du machst seit vielen Jahren Ladenbau und Shopgestaltung, vom kreativen Konzept bis zur praktischen Umsetzung, und das über alle Branchen hinweg. Gibt es Besonderheiten, die die Haushaltswaren- resp. Einrichtungsbranche hat, die du aus anderen Branchen so nicht oder kaum kennst?

Diese Branche ist sehr praxisorientiert, aufs Ausprobieren ausgelegt. Man kann das ein bisschen mit DIY vergleichen, man muss handwerklich was zeigen. Denn die Produkte an sich sind oft unsexy, also gilt es, Emotion reinzubringen. Was sehr viel Emotion in sich trägt, ist das Ergebnis, das aus der Verwendung des Produktes resultiert: ein gutes Essen, ein toller Wein, der Kaffee.

Wenn es nur um die Produkte an sich geht, dann funktioniert das mit starken Marken à la Gaggia, WMF oder Zwilling. Bei allem anderen muss ich die Emotion erst reinbringen, durch Hands on. Ich nenne hier als Beispiel sehr gern die Verkäufer auf Jahrmärkten, die eine einfache Gurkenhobel oder einen Wischmop so richtig in Szene setzen und die Vorteile auf eine Art und Weise rüberbringen, dass es im Idealfall verzaubernd ist. – Kurz: Es geht darum, Magic reinzubringen.

Ich finde einige der Produkte schon ziemlich sexy, die sieht man gerne an … Allgemein, wie kann diese spezielle Branche ihre Vorzüge heutzutage ideal transportieren? Worauf kommt es an? Und worin liegen die großen Unterschiede zu vielleicht anderen Branchen?

Bei Produkten wie Vasen und Deko, die zähle ich eher zum Interior Design – kommt es auch sehr stark auf den Zusammenhang an. Der Content muss stimmen. Wenn ich in der Welt bleibe, z.B. gedeckter Tisch, kann ich diesen mit Accessoires anreichern, mit emotionalen Produkten. – Aber ich kann auch genau das Gegenteil machen und z.B. aus Töpfen einen Roboter bauen oder aus Vasen eine Lampe, dann fällt das gänzlich aus dem Kontext heraus.

Der Unterschied zu anderen Branchen ist, dass ich etwas schmecken, riechen kann. Töpfe, Messer, Vasen liegen auch in der Hand. Dann kommt das Gewicht dazu, bei Gläsern ist es besonders wichtig, diese im Kontext – mit einem guten Wein – zu zeigen.

Das ist nicht neu, ich muss eine Story erzählen. Das Produkt ist ja nur Mittel zum Zweck. Relevant ist das Ergebnis. Und: Bekomme ich soziale Anerkennung, wenn ich einen schönen gedeckten Tisch habe? Lob? Oder ist das Produkt genießbar, hat es ein besseres Bouquet durch diese besonderen Gläser? Alles, was den Nachgang erleichtert, die Funktionalität, wiederkehrende Prozesse wie Reinigung, etc. ist an sich schon ein tolles Argument.

Mut zum Aktionismus!

Du hast in einem Interview mal gesagt, man soll seine Kunden überraschen, besonders sein. Wir leben ja in einer Welt, in der es praktisch alles schon gibt, wie kann man da seine Kunden noch mit etwas Unerwartetem konfrontieren?

Es geht darum, die Menschen aus ihrer Komfortzone, aus ihrem Brainscript zu locken. Das kann passieren durch Freude, Lachen – oder auch durch einen Schock, Leid. Es gibt Beispiele, wo Teller auf den Boden geschmissen werden, „randaliert“ oder „geschossen“ wird... Alles mit dem Ziel, das die Menschen aus dem Nebel des Alltags rauskommen, dass es einen Adrenalinstoß gibt. Generell, gilt, je seichter der Versuch ist, desto schwieriger ist es, den gewünschten Effekt zu erzielen, und je radikaler man agiert, desto polarisierender ist es. Man muss aufpassen, dass es nicht zu negativ ist, denn dann muss man die Panikphase überwinden und die Menschen wieder zurückholen, sodass sie wieder in Sicherheit sind. Denn im Laden sollen sich die Menschen wohlfühlen, sicher, Harmonie spüren.

Mir fällt da auch das Konzept der Flashmobs ein, wo Leute plötzlich singen, einer einfach zum Klavier spielen anfängt oder Holz hackt. Wenn das Unerwartete eintritt, filmen die Leute, posten es auf Insta, du bist im Gespräch.

Ich sage auch allen meinen Kunden, „Wenn du umbaust, lass die Leute auch sehen, dass du umbaust, wo es Krach gibt, da reiben sich die Ärsche.“ Dort, wo was passiert, hat man Aufmerksamkeit.

Was muss aus deiner Sicht ein Fachhandelskonzept heute jedenfalls haben, um erfolgreich zu sein?

Damit man gesehen wird, braucht man zumindest einen kleinen Internetauftritt. Und dann kommt es darauf an, entweder hab ich ein Produkt, das mir die Leute real abkaufen, was selten ist. Wenn ich allerdings im Preisvergleich stehe, wie die meisten, dann ist der Laden, die Person der Star. Auch eine außergewöhnliche Deko drischt sich schnell ab. Dann geht es um Empathie, die Einbeziehung der Leute und Kontakt mit ihnen zu halten, z.B. in Whatsapp-Gruppen. Ich muss mir eine Seilschaft, eine Community aufbauen, darin avanciert mein Kunde zum Star, zum VIP, die Botschaft lautet „Ich hab da extra was für dich!“ Für den Kunden ist das dann eine persönliche Einladung, die man gar nicht absagen kann. Wesentlich ist, empathisch an die Sache ranzugehen, und im weiteren Schritt zu überlegen, ob der Kunde ein Multiplikator sein kann.

Empathie zählt

Seit nunmehr 20 Jahren bist du Juror beim global innovation award. Was war in diesen Jahren das bemerkenswerteste Konzept, das du begutachtet hast? Und was war das Besondere, das Spezielle daran?

Es gab ein paar herausragende Konzepte, eines hat mich extrem fasziniert, das nannte sich „Gifts for Men“ und kam aus Neuseeland. Die hatten ein normales Sortiment, nur anders aufgebaut und kuratiert. Das war themenmäßig zusammengezogen für Junggesellen, Abenteurer, Väter … – Wenn du so ein Konzept umsetzt, dann musst du doppelte Warenplatzierung beherrschen, sehr empathisch sein, dich in die Szenerien der Einzelnen hineinversetzen können. Es ist sehr aufwendig, aber eine wahnsinnige Erleichterung für Frauen, Männer, und alle, die etwas Besonderes suchen.

Ein anderes Beispiel kam aus Holland, das Unternehmerpärchen hat viel Engagement und Liebe in Deko und Kulissen gesteckt und den ganzen Laden alle 14 Tage auf den Kopf gestellt und neu inszeniert.

In Brasilien hatten wir ein Konzept, das war praktisch im Dschungel gelegen, hat Kochsessions mitverkauft und Eventzonen im Geschäft gehabt.

So unterschiedlich all diese Umsetzungen sind, alle haben gemein, dass sie vom jeweiligen Engagement und den Charakteren, die dahinter stehen, leben.

Der gia ist ein internationaler Preis für Ladenkonzeption. Was macht ihn aus deiner Sicht so wertvoll und wie können ausgezeichnete Handelspartner ihn idealerweise vermarkten/in Szene setzen?

Allein die Vorentscheidung als nationaler Gewinner ist schon eine Auszeichnung. Wenn man schlau ist, platziert man den gia wie einen Oscar. Man kann auch Zusammenschnitte von der Gala-Veranstaltung als bewegte Bilder in der Werbung einsetzen.

Wir hatten vor etwa 15 Jahren einen Gewinner aus Dänemark, der hat das exzellent vermarktet, im Stadtmarketing, im regionalen Radiosender den Preis dargestellt als die Krönung seines Lebenswerkes und in einer kleinen 5000 Seelen-Gemeinde 15.000 Leute in einer Woche in sein Geschäft gebracht.

Warum sollten sich Handelsbetriebe in Österreich an einem internationalen Wettbewerb wie dem gia beteiligen?

Allein schon, weil Chicago und die International Houseware Show die Reise wert ist. Es ist jedenfalls bereichernd, aus seinem gewohnten Umfeld herauszugehen, sich inspirieren zu lassen vom Tun anderer. Vielleicht kann ich das eine oder andere für mich herausziehen und in mein regionales Umfeld anpassen. Auch ich arbeite nach diesem Prinzip, schau mir an, was andere leisten, weil ich davon lernen kann und will.

In diesem Zusammenhang stelle ich die Frage: Wie definierst du einen Unternehmer? Meine Antwort ist klar: durch Mut, Inspiration und Ausdauer/Beharrlichkeit.

Mut kann man damit gleichsetzen, Angst vor etwas zu haben und es trotzdem zu tun. Etwas Neues zu tun, Ideen zu verwirklichen, die ich so noch nicht kannte. Inspiration: Ich geh einen Weg, der mir vielleicht neue Perspektiven eröffnet. Und Beharrlichkeit bedeutet, auch wenn man Rückschläge erleidet, mache ich weiter – nicht ohne jedoch die Situation zu analysieren: warum hat es diesmal nicht funktioniert, wie waren die äußeren Umstände, hat der Zeitpunkt gepasst, die Umgebung …? Man sollte an dem festhalten, von dem man glaubt, dass es eine Bereicherung für die Welt ist. Viele Konzepte sind erst aufgeblüht, weil man beharrlich war.

Arnold Schwarzenegger ist auch rausgegangen und hat der Welt gezeigt, dass man aus wenig viel machen kann. Schließlich kommt es nicht von ungefähr, dass immer wieder kleine Unternehmen den gia gewinnen ...

Wordrap

Damit starte ich meinen Tag ... mit meinem Callenetics Fitnesstraining

Steak oder Cesars Salad? Steak

Insta oder Süddeutsche Zeitung? Insta

Einen Kaffee würde ich gerne trinken mit ... einer schönen Frau

Wenn ich etwas erfinden könnte, würde ich … etwas kreieren, das die Welt netter macht

Sonnenauf- oder Sonnenuntergang? Sonnenaufgang

 

www.gruschwitz.de

 

Wolfgang Gruschwitz studierte an der TU München Bauingenieurwesen. Während seiner mehrjährigen Studienaufenthalte in den USA und GB setzte er sich primär mit den Themen Gastronomie, Handel und Verkaufsförderung auseinander und arbeitete zwei Jahre lang als Lichtplaner. Die International Housewares Association mit Sitz in Chicago nominierte ihn 2003 als Juror für den Global Innovator Award. Seit 2003 führt er sein eigenes Unternehmen, die Gruschwitz GmbH, ein Design- und Realisierungsbüro für kundenorientiere Räume wie Läden, Showrooms, Büros, Hotels, Co Working Spaces etc.