wohninsider August-September 2022

04. 2022 | August/September |wohninsider.at 123 AM POINT OF SALE Foto: © Kandut WALTER KANDUT Scheitert die Digitalisierung an uns Nutzern? Walter Kandut betreibt gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth die „agentur für wohnen und mehr“ in Wien. Seine Handelsagentur mit Schwerpunkt auf Service und Kompetenz für den exklusiven Möbel- und Objektfachhandel baut auf über 30-jährige Erfahrung im Verkauf und als Agentur. Die Covid Krise hat auch ihre positiven Seiten. Alle sprechen von einem Digitalisierungs-Nachholbedarf. Die Pandemie sollte eine deutliche Beschleunigung der noch ausstehenden Digitalisierung bringen. Wir müssen uns aber immer vor Augen halten, was hat die IT von Anfang an für ein Ziel gehabt? Die Arbeit des Menschen zu erleichtern. Eine Zeitlang wurde sogar prophezeit, dass Computer und Roboter uns Menschen ersetzen werden. In Wirklichkeit hat die Krise am meisten der Cyberkriminalität geholfen bzw. Hassbotschaften und Beschimpfungen in den Sozialen Medien haben deutlich zugenommen. Beflügelt durch den zunehmenden Egoismus, dem vermeintlichen zurück zum „ich“, schraubt sich die natürliche Hemmschwelle immer tiefer. Schon Goethe schrieb im Zauberlehrling „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los“. Nur mit dem Unterschied, dass der „alte Meister“ heute nicht mehr eingreifen kann. Es liegt wohl an jedem Einzelnen, an der Eigenverantwortung des Menschen. Das gesellschaftliche Problem ist immer die dunkle Seite, die das kriminelle Prinzip vor alles andere stellt. Vor- und Nachteile In unserer Branche bringen die digitalen Hilfen sowohl Vor- und Nachteile. Als Produzent und Händler muss man digital präsent sein, sonst verliert man den Anschluss zur „weiten Welt“. Sowohl was das Internet als auch die Sozialen Medien anbelangt. Es ist aber auch abzuwägen, ob der erforderliche professionelle Aufwand auch den erwarteten Nutzen bringt. Nur Likes alleine bringen noch keinen Umsatz, vor allem wenn davon kolportiert ein Drittel von „Maschinen“ sind. Die Vergangenheit hat uns in viele Sackgassen geführt, deshalb ist eine Art Gegenreaktion entstanden. Viele legen ihr Smartphone immer mehr zur Seite und antworten zeitverzögert bzw. reduzieren digitale Kommunikation auf das Wesentliche. Das persönliche Gespräch, das angenehme Gefühl eines gelungenen Verkaufsgesprächs und dabei dem anderen in die Augen zu sehen kann ich nicht mit kryptischer Konversation am Smartphone ersetzen (auch wenn das immer noch viele glauben). Das gilt auch für Videoanrufe oder Virtuelle Realität, hier fehlt (noch) die Gefühlsebene. Eine Digitalisierung in der Arbeitswelt hat viele Aspekte. Warenwirtschaft und Rechnungswesen sind unbestritten, hier geht es ohne Computer nicht mehr, das erleichtert dem Menschen erheblich die Arbeit. Beim vielschichtigen Thema Werbung und Marketing zeigt sich zunehmend die Polarisierung des Handels. Bei der verbreiteten Massenware wird dieser Bereich immer wichtiger, legale aber auch zweifelhafte digitale Manipulation setzt sich immer mehr durch. Oft entsteht der oberflächliche Eindruck „wir wollen es so“. Exklusive Marken Bei exklusiven Marken und Nischenanbietern sieht die Sache schon anders aus. Für Marken ist es eine Gradwanderung zwischen absoluter Präsenz im Netz mit der Gefahr der entstehenden negativen Preisspirale oder medialen Bedeutungslosigkeit. Je mehr ich dem Kunden im Internet einen digitalen Konfigurator mit Modell- und Farbauswahl zur Verfügung stelle, desto schwieriger wird es für den Handel in den Akt „kaufen“ einzusteigen. Jede menschliche Annäherung braucht Zeit, die Persönlichkeiten müssen sich erst finden. Wenn dazu keine Zeit ist, sprich der Kunde nur mehr den „Preis“ wissen will, wird es ein Problem, sowohl für den Kunden als auch für den Händler. Es gibt nach wie vor sehr viele Personen, die kein räumliches Vorstellungsvermögen haben, unsicher sind, dies aber nur schwer kommunizieren können bzw. erst in einem Gespräch „warm“ werden müssen, um so eine Info zu geben. Individuelle und objektive Beratung im Netz ist nur schwer möglich. Das gleiche gilt für die virtuelle Planung, den virtuellen Rundgang in seinem zukünftigen Haus oder der Wohnung. Der Aufwand ist extrem hoch, um der versteckten Erwartungshaltung des Kunden zu entsprechen. Aus Werbung und Filmen wird oft eine Qualität vorausgesetzt, die so nicht umsetzbar ist oder mit einem extrem großen Aufwand verbunden ist, der dann schon einen zweistelligen Prozentsatz des Umsatzes ausmachen kann. Eine gewisse Enttäuschung macht sich breit und dann kommt immer noch die menschliche Psyche dazu, ohne der Sicherheit im Bauch, dem Vertrauen, geben die Kunden keine großen Summen aus. Der persönliche Kontakt Deshalb setzen viele Nischenanbieter wieder vermehrt auf den persönlichen Kontakt, auf die klassische Empfehlung. Wegen dem verbreiteten Personalmangel und der begrenzten Produktions-Ressourcen ist das nach wie vor der erfolgreichere Weg, auch wenn man dadurch „medial“ an Bedeutung verliert. Dasselbe Problem haben auch die klassischen Verkaufsmessen. Eine digitale Messe hat und wird sich nicht so leicht durchsetzen. Auf der anderen Seite unterliegen auch die Kosten für Standmiete, Ware und Personal den allgemeinen Preissteigerungen und daher zunehmend einer Kosten-Nutzen Abwägung. Das hat sich bei der letzten Messe in Mailand auch deutlich bemerkbar gemacht. Wohin die Reise geht, ist noch nicht abschätzbar. Es werden ständig neue Konzepte entwickelt, die oft bei der stadtfindenden Veranstaltung schon wieder „veraltet“ sind. Ein deutliches Zeichen der vorherrschenden Orientierungslosigkeit. Da kann eine digitale Welt auch keine Hilfestellung bieten oder sogar noch mehr verwirren. So hilfreich eine beschleunigte Digitalisierung auch sein kann, so problematisch sind deren Verwerfungen. Die Medienberichte der letzten Monate sprechen für sich. Vielleicht löst der bedauerliche Suizid einer Ärztin ein Umdenken aus und wir besinnen uns auf das eigentliche Ziel der digitalen Revolution, dem Menschen eine nachhaltige und sichere Erleichterung seiner Existenz zu bieten. Das bedeutet aber auch, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, muss das Zusammenleben nach bestimmten Regeln erfolgen. www.agentur-kandut.at

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