wohninsider_Nachhaltigkeit 2022

Juni 2022 | Hier wi rd nachhal t ig gearbei tet | wohninsider.at 23 MATERIELLES WACHSTUM mens geeinigt, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen zu wollen. Dennoch steigt die globale Temperatur weiter an. Das Jahr 2016 war das heißeste jemals gemessene Jahr mit 1,2 Grad mehr als Ende des 19. Jahrhunderts. Die Weltwetterorganisation sieht eine 50%-ige Wahrscheinlichkeit, dass wir bereits kurzfristig in einem der nächsten fünf Jahre die kritische 1,5 Grad Schwelle überschreiten. Sehr wahrscheinlich brechen wir zwischen 2022 und 2026 den bisherigen Temperaturrekord. Dies wird Wetterextreme wie Hitzewellen, Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen, Hagel oder Wirbelstürme auch in Österreich zur Folge haben. Mit dem Überscheiten der 1,5 Grad Schwelle gehen wir als Menschheit ein großes Risiko ein, nicht reversible Vorgänge anzustoßen, die wie eine Kaskade aus Dominosteinen nicht mehr zu stoppen sind. Wenn wir unsere Erdsysteme unkontrolliert weiter verändern und unsere planetaren Grenzen zunehmend überschreiten, schaden wir uns selbst. Denn der Klimawandel stellt laut Weltklimarat die größte Bedrohung unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens dar. Planetare Grenzen Die Erde kann nach einem Modell von Prof. Rockström und Kolleg:innen mittels neun planetarer Grenzen beschrieben werden, innerhalb derer wir sicher als Menschheit agieren und leben könnten. Bei Überschreitung dieser Grenzen gehen wir das Risiko ein, unsere Lebensqualität, Versorgungsgrundlage, Gesundheit und Sicherheit zu gefährden. 2021 galten vier dieser Grenzen als überschritten. Im April 2022 haben Forscher:innen des Stockholm Resilience Centres erstmals gezeigt, dass wir die planetare Grenze für „grünes“ Süßwasser (welches für Pflanzen z.B. durch Bodenfeuchtigkeit zur Verfügung steht, im Gegensatz zu „blauem“ Wasser wie Grund- und Oberflächenwasser) nun auch überschritten haben. Die zweite Hiobsbotschaft dieses Jahres, denn zuvor wurde die Schwelle für neuartige Substanzen (wie z. B. Plastik oder Pestizide) zum ersten Mal evaluiert und ebenso festgestellt, dass wir den sicheren Handlungsbereich bereits verlassen haben. Zusammenfassend agieren wir nun bei sechs der neun planetaren Grenzen außerhalb des sicheren Bereiches. Insbesondere die bereits überschrittenen Schwellen des Verlusts der Artenvielfalt (biosphärische Integrität) sowie des Klimawandels stellen eine fundamentale Bedrohung für unser Wohlbefinden dar. Zudem haben wir die Stickstoff- und Phosphorkreisläufe und Veränderungen durch Landnutzung aus der sicheren Zone gebracht. Eine planetare Grenze konnte noch nicht abschließend evaluiert werden: die atmosphärische Aerosolbelastung. Da laut Europäischer Umweltagentur im Jahr 2019 eine bessere Luftqualität 178.000 Leben in Europa hätte retten können, kann diese Grenze eventuell auch als bereits überschritten angesehen werden. Die Ozeanversauerung befindet sich derzeit noch im grünen Bereich, doch auch dieser Indikator hat laut aktuellem Bericht der Weltwetterorganisation in 2021 einen Negativrekord gebrochen. Sicher im grünen Bereich liegt die Ozonbelastung der Stratosphäre – das Positivbeispiel für die Wirksamkeit globaler Einigkeit und eines gemeinschaftlichen Gegensteuerns. Gerechter und sicherer Raum für menschliche Entwicklung Das Modell der planetaren Grenzen wurde von der britischen Wirtschaftswissenschafterin Prof. Raworth weiterentwickelt und um soziale Minimalstandards ergänzt. Herausgekommen ist ein Donut-förmiges Wirtschaftsmodell deren innere Grenze das Mindestmaß an Ressourcen darstellt, welche wir für die Erfüllung unserer menschlichen Grundbedürfnisse (wie Nahrung, Zugang zu sauberem Wasser, Gesundheit, Bildung, Frieden oder soziale Gerechtigkeit) benötigen. Wenn dies innerhalb der planetaren Grenzen geschieht, erhalten wir unsere Erdsysteme auf einem stabilen Niveau. Zwischen diesen beiden Grenzen liegt also ein ringförmiger Bereich, der sowohl ökologisch sicher als auch sozial gerecht ist: ein Umfeld, in dem die Menschheit gedeihen kann. Fenster der Möglichkeit Wir Menschen können als Reaktion auf Einschränkungen große Potentiale freisetzen, wenn wir unseren Fokus auf Kreativität, Sinn, Partizipation, Verbundenheit und Zugehörigkeit legen. Und wenn wir uns auf den Kern des Wirtschaftens besinnen: mit knappen Ressourcen gut hauszuhalten. Eine Änderung unseres grundsätzlichen Denkansatzes zeichnet sich bereits ab, nicht mehr nur nach quantitativem, materiellem Wachstum zu streben, sondern einen gesellschaftlichen Wertewandel zu vollziehen. Der aktuelle Weltklimabericht macht deutlich, dass die Zeit zum Handeln JETZT ist. Es besteht ein erreichbares Fenster der Möglichkeit bis zum Jahr 2030 unsere Emissionen in allen Sektoren um die Hälfte zu senken. Wenn wir allen Menschen bei prognostiziertem Bevölkerungswachstum ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen wollen, muss der Grad an eingesetzten Ressourcen drastisch gesenkt werden. Um dies zu erreichen ist eine Kombination aus den drei » Foto diese Seite: Orla/Shutterstock.com

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