wohninsider Februar-März 2025

01. 2025 | Februar/März | wohninsider.at 97 BETRACHTET MIT NINA SCHULMEISTER Liebe Leser, Liebe Kollegen, Wir leben in einem System wo nur eine einzige Meinung seine Relevanz hat – die Meinung der Masse. Weicht man nur ein klein wenig davon ab, wird man diffamiert. Betrachtet man die Dezimierung der Migrantenbewegung als erforderlich, oder hat ein mulmiges Gefühl beim nächtlichen Spaziergang in einer größeren Stadt, so wird man als Teil des rechten Ecks angesehen. Findet man die gefühlt 100 möglich auszuwählenden Geschlechter überzogen, so wird man verpöhnt und als homophob bezeichnet. Schmücken mehrere Tattoos den Körper, so hat man bestimmt keine Universität besucht und aus gutem Elternhause kommt man ebenfalls nicht, sonst hätte die Mutter jenes törichte Vorhaben untersagt. Jeder Vegetarier oder Veganer ist doch bestimmt auch ein radfahrender Klimaaktivist. Wir leben in einer Gesellschaft in der Schweigen Gold ist, da ein wertfreier Meinungsaustausch nicht mehr möglich zu sein scheint. Es hätte wohl vor ein paar Jahren keiner für möglich gehalten, dass ein scheinbar einfaches Thema wie eine Impfung Freundschaften, Ehen und ganze Familien spalten könnte. Rückzug ist der Luxus der Moderne geworden. Jede Meinung hat ihre Berechtigung und ihre Wahrheit. Sie fußt auf eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen und Empfindungen und kann von keinem zweiten im gleichen Ausmaß je so empfunden werden. „Liberté, Egalité, Fraternité“ (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) ist Teil der französischen Verfassung; im Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist zudem folgendes verankert: „Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung.“ Was jedoch fehlt und nirgends verankert ist, ist die allgemeine Akzeptanz dieser persönlichen Freiheit; der Meinungsäußerung. Die Akzeptanz, dass andere Menschen andere Meinungen haben und Dinge anders wahrnehmen und empfinden. Die Akzeptanz, dass andere anders aussehen möchten als man selbst. Die Akzeptanz, dass andere einen anderen Geschmack haben als man selbst. Und auch oft die Akzeptanz, dass andere anders wohnen möchten als man selbst, oder als es der Trend vorgibt. Mein Lebensgefährte und ich haben letztes Jahr ein großes altes Haus gekauft, welches wir gänzlich kernsanieren. Wir leben in dieser Kernsanierung. Zwischen Schutt, Abbruchhammer und freigelegten Leitungen, haben wir uns eine kleine gemütliche Baustellenwohnung eingerichtet. Am freien Sonntag wird nicht gefaulenzt, sondern den Wänden beim freien Fall nachgeholfen. All meine Freunde fragten mich ob ich komplett verrückt sei und, dass sie solch ein Vorhaben nie und nimmer eingehen würden. Statt Verständnis, oder sogar Hilfsbereitschaft gibt es Kopfschütteln und Ablehnung. Ich bin gespannt ob sie mich am Tag der Fertigstellung noch immer für verrückt halten werden. Oder sich selbst zum Grillen einladen. Worauf ich hinaus möchte ist, dass es sowohl im Privatleben als auch in unserer Branche viele Meinungen und Möglichkeiten gibt, Dinge anzusehen und anzugehen. Ich habe leider viel zu oft von Kollegen gehört: „Überrede den doch. Verkauf ihm das so und so. Das ist viel einfacher.“ Blickt man in die Projektgalerie so mancher Firmen, ganz gleich ob Architekt, Innenarchitekt oder Tischler, so gleicht ein Projekt dem anderen. Die Kunden, beziehungsweise die Menschen die dahinter stehen, müssen geklont worden sein. Oder ihre Meinung wurde nicht gehört. Ihre Identität nicht gesehen. Oder akzeptiert. In gut zwei Monaten strömen wir alle nach Mailand um den neuesten Trend zu erspüren. Um zu wissen, was wir den Kunden im Jahr 2025 anpreisen sollen (oder aufs Auge drücken?). Die Macht die wir haben, unsere ganz besondere Fähigkeit muss es sein die Meinungen und Wünsche unserer Kunden zum Leben erwecken zu lassen. Sie zu hören. Sie zu akzeptieren. Ganz gleich ob sie uns selbst gefallen oder nicht. Wir sind Möbler. Wir sind Zuhörer. Meinungsakzeptierer und Wunscherfüller. Lassen wir anderen den Raum ihre Diversität auszuleben. Und haben wir selbst den Mut dazu, unsere eigene zu leben und auszudrücken. In Gesprächen. In Kommentaren. Im Miteinander. Wir können voneinander lernen. Wenn wir einander akzeptieren. WIR SIND MEINUNGSAKZEPTIERER UND WUNSCHERFÜLLER DU DENKST ANDERS – NA UND? Fotos: © pixabay, Dipl.-BW Nina Schulmeister, MA MA Nina Schulmeister, Gründerin, Inhaberin & kreativer Kopf der Handwerk Design- und Möbelmanufaktur GmbH. Kontakt: office@dashandwerk.com

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