wohninsider April/Mai 2021

112 wohninsider.at | April/Mai | 02. 2021 AM POINT OF SALE WALTER KANDUT ZUSAMMENBRUCH DER LIEFERKETTEN Foto: © Kandut Walter Kandut betreibt gemein- sam mit seiner Frau Elisabeth die „agentur für wohnen und mehr“ in Wien. Seine Handelsagentur mit Schwerpunkt auf Service und Kompetenz für den exklusiven Möbel- und Objektfachhandel baut auf über 30-jährige Erfahrung im Verkauf und als Agentur. D ie Krise hat uns immer noch fest im Griff. Wir schlagen uns als Gesellschaft halbwegs tapfer durch diese schwierige Zeit. Eine Entwicklung der letzten Zeit gibt mir aber zu denken, die Preise steigen, vor allem bei Roh- stoffen in astronomische Höhen. So ist zum Beispiel Eisenerz von März 2020 bis Februar 2021 um 85 % angestiegen oder der Roh- stoff-Industrie Eingang Index ist im selben Zeitraum um 50 % gestiegen (Quelle: indexmundi.com ) . Das gleiche passiert mit Schaum- stoff oder Spanplatten und vielen anderen Bestandteilen eines Pro- duktes. Jetzt geht es nicht mehr allein um den Preis, es geht auch darum, ob man was, wieviel und wann bekommt. Zulieferteile in Billiglohnländer auszulagern und keinen Plan B zu haben wirkt sich jetzt verhängnisvoll aus. Die ganze Entwicklung hat aber nichts mit der realen Wertwirt- schaft, dem BIP zu tun. Welt- weit ist er während der Krise 2020 um 3,5 % geschrumpft. Die Prognose für 2021 ergibt ein Plus von 5,5 %, das wäre nicht einmal ein Plus von 2 % zum Niveau 2019. Genauso hat sich der Kapitalmarkt von der Real- wirtschaft gänzlich abgekoppelt. Der Dow Jones hat zwischen dem Höchststand vor der Pande- mie im Feb. 2020 und 16.4.2021 um 18 % zugelegt, der DAX um 12 %. Das entspricht nicht dem realen Zustand unserer Wirt- schaft. Ein Cocktail der den meisten nicht schmecken wird. Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird damit weiter größer, das Gegenteil sollte aber unser Ziel sein. Dazu kommen noch hausge- machte Probleme. Wenn trotz voller Auftragsbücher in einer Pandemie monatelang auf Kurz- arbeit gesetzt wird, kollabiert ir- gendwann das System. Nicht so bei kleineren Firmen, hier wer- den Corona-bedingte kurzeitige Ausfälle in den meisten Fällen durch den persönlichen Einsatz (wie Überstunden) der Mitarbei- ter wieder wettgemacht, warum SIE dann auch die Folgen der Preissteigerungen zahlen müssen (siehe Entwicklung der Lohnkos- ten) ist nicht verständlich. Wenn das Ganze auf die stark steigende Nachfrage in China und USA (vor allem Holz) zu- rückzuführen ist, sollten wir re- agieren. Die Welt besteht nicht nur aus den zwei Staaten. An- scheinend kommt inzwischen fast alles was wir in Europa be- nötigen aus Asien, sonst wären wir nicht in so eine Abhängigkeit geraten. Wenn China oder die USA einen Schnupfen bekom- men muss der Rest der Welt in die Intensivstation. Wir in Euro- pa sollten eine wirksame Medi- zin dagegen entwickeln. Argumentiert wird dieser Preis- anstieg auch mit dem Zusam- menbruch der Lieferketten, mit dem Fehlen von Containern und mit den Markt-Gesetzen. Steigt die Nachfrage, steigen die Preise. Das kann ich subjek- tiv nur schwer nachvollziehen. Im schlechtesten Fall war es 2020 ein Rückgang von 10 % des Warenverkehrs von Asien nach Europa. Das ist doch kein kompletter Totalausfall? Aber die jetzigen Preissprünge deuten eher auf so eine Möglichkeit hin. Derzeit werden aber nicht nur die Transportkosten, sondern gleich die Rohstoffe einer mas- siven Preissteigerung ausgesetzt, eine Logik, welche nicht nach- vollziehbar ist. Oder sind hier Spekulanten amWerk, die solche Situationen ganz einfach ausnut- zen? Wir hatten alle mehr als ein Jahr Zeit, uns von solchen Ent- wicklungen etwas abzukoppeln. Setzen wir mehr auf Regionalität und kurze Transportwege dann werden wir weniger abhängig von diesen Entwicklungen und gewinnen damit zumindest ein bisschen an Mitsprache. Die Ware „Mensch“ wird dabei viel zu wenig berücksichtigt. Ein regional agierender Handwerker hat einen persönlichen Stun- denlohn, wenn die Nachfrage steigt, haben seine Kunden im Regelfall eine längere Wartezeit, seine Stundenpreise bleiben da- bei (meistens) unverändert. Ich möchte aber auch festhalten, dass für mich liberale Wirtschaftssys- teme per se nichts schlechtes sind. Wenn es aber um mutwillige Spe- kulation auf Kosten derjenigen geht, die sich nicht wehren kön- nen (oder letztendlich auch daran sterben, siehe Nahrungsmittel), dann sollten wir Regeln aufstel- len, die so etwas verhindern. Wir haben uns von den billigen Preisen blenden lassen, wir ha- ben ein Konsumverhalten ent- wickelt, das rein auf den Faktor Preis aufgebaut ist. Wie, was produziert wird und auf welche Kosten, das blieb und bleibt da- bei auf der Strecke. Zum Leid- wesen der ausgebeuteten Natur und auf Kosten der namenlosen Menschen in weit entfernten Billiglohnländern. Mir geht es um die Optik, die entstanden ist. Die Krise auszunutzen hat nichts mit Nachhaltigkeit, nichts mit Menschlichkeit oder rück- sichtsvoller Gemeinschaft zu tun. Zumal zu befürchten ist, dass es bei der „arbeitenden“ Bevölkerung zu einer doppelten Belastung kommen wird. Vor allem wenn der Schuldenabbau der Pandemie in zwei bis drei Jahren mit aller Wucht zuschla- gen wird. Aktiengewinne haben in der Vergangenheit wenig zur gesellschaftlichen Finanzierung beigetragen. Solange die einzelnen Regio- nen und Staaten und vor allem die Hersteller nicht anfangen die ganzen Produktionsprozesse mehr zu hinterfragen und auch wirklich Taten setzen, wird sich wenig ins Positive ändern. Fairer- weise will ich aber auch etliche Lichtblicke erwähnen, vor allem in unserer Branche. Es werden vermehrt Materialien eingesetzt, die aus der Region kommen und Produktionsprozesse nicht aus- gelagert und so bewusst im Land gehalten. Ein Weg in die richtige Richtung. Verfolgen wir diesen gemeinsam weiter. www.agentur-kandut.at

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