129
TRAINING : WISSEN
WALTER KANDUT
DAS NEUE „SITZEN“ –
das neue Biedermeier!
AM POINT OF SALE
Walter Kandut
ist Absolvent der HTL Vil-
lach, war jeweils mehrere Jahre tatig in Kal-
kulation und Verkauf einer Großtischlerei,
Verkauf von exklusiven Wohnmobel und
Objekteinrichtungen im Innen- und Außen-
dienst, Einkaufsleiter im Studiobereich und
einem Einkaufsverband. Seit 2000 betreibt er
die „agentur fur wohnen und mehr“ in Wien
fur Studios und Handelsvertretungen.
Foto: Walter Kandut
D
ie Welt und auch
unsere Branche
ist einer ständi-
gen Veränderung
unterworfen, mit
einer Geschwindigkeit die viele
zunehmend überfordert. Die, die
hier nicht können, werden links
liegen gelassen. Das beste Beispiel
dafür ist die leidvolle Entwick-
lung unserer veränderten Einrich-
tungs-Szene. Ausgenommen da-
von sind Großflächenanbieter, die
haben andere Probleme auf die
ich hier nicht eingehen möchte.
Es ist eine subjektive Betrachtung,
eine Bestandsaufnahme, zugege-
bener Maßen eine individuelle
Betrachtung, bekannterweise füh-
ren „viele Wege nach Rom“.
Unsere Räume verändern
sich
Die Bereiche Küche-Speisen-
Wohnen verschmelzen immer
mehr zu einer Einheit. Neubau-
ten berücksichtigen diese erfreuli-
che Entwicklung mit einer beacht-
lichen Vielfalt, nur bestehende
Wohnbauten und ältere Häuser
fordern die beachtenswerte Kre-
ativität der erfahrenen Einrich-
tungsplaner. Intelligente Stau-
raum-Lösungen werden immer
wichtiger, vor allem bei älteren
kleineren Wohneinheiten.
Der klassische Wohnzimmer-
schrank ist aus dem modernen
Wohnen weitgehend verschwun-
den und nur noch im Massen-
bereich zu finden. Dafür werden
Raum-Lösungen kreiert, umfang-
reicher Stauraum ist in diesem
Bereich mehr oder weniger weg,
kreative und durchdachte Raum-
konzepte sind gefragt. Aufwendi-
ge Befestigungstechniken und edle
Materialien haben dazu geführt,
dass ein paar „Bretteln“ heute so
viel kosten wie früher ein gan-
zer „Schrank“. Ehrlicherweise
muss man aber auch sagen, dass
ein überdimensionaler Flachbild-
schirm inzwischen den größten
Platzbedarf in Anspruch nimmt.
Die nicht weniger dramatische
Veränderung finden wir im Ess-
bereich im Verhältnis zur klas-
sischen Sitzgarnitur. Von einer
Sitz-Garnitur, Wohn-Landschaft
oder Couch kann man aber pau-
schal nicht mehr sprechen – wie
gesagt im Exklusiven Bereich
(Massenware ausgenommen). Es
ist eine Reduktion auf einem sehr
persönlichen und auch intimen
Bereich – fernsehen oder ent-
spannen steht im Vordergrund
und „sitzen“ kann man auf die-
sen „Dingern“ auch nicht mehr,
oder besser gesagt nicht lange.
Beim längeren Sitzen muss der
im Verhältnis schwere Kopf mit
dem Skelett getragen werden, bei
einer zu großen Sitzneigung muss
dies die Muskulatur übernehmen
und die ist bekanntlich von der
körperlichen Kondition des „Sit-
zers“ abhängig. Gäste, Freunde
und Bekannte können schon viele
nach kurzer Zeit nicht mehr sit-
zen. Die einen wollen sich hinle-
gen, die anderen werden zu un-
ruhigen Geistern. Das Ziel eines
geselligen Zusammensitzens ist da
dann nicht mehr gegeben.
Der Esstisch ist der
zentrale Bereich
Deshalb bleibt man lieber am
großen Esstisch sitzen. Der Ess-
platz ist nun der zentrale Punkt
in einem Haus, einer Wohnung.
Der Akt Essen ist aber hier nur
mehr ein kleines Zeitfenster. Der
Name „Essplatz“ ist immer mehr
irreführend, besser wäre hier die
Bezeichnung „Sitzgarnitur“. Eine
verkehrte Welt, wer soll sich da
noch auskennen, zumal ein Stuhl
kein Sessel ist und ein Sessel kein
Stuhl sein kann …
Um dieser besonderen Anforde-
rung gerecht zu werden muss der
universelle Stuhl nicht nur einen
Blickfang darstellen, sondern vor
allem bequem und auf stunden-
langes Sitzen ausgelegt sein. Ein
Umstand dem vor allem deutsche
und skandinavische Hersteller
Rechnung tragen, und auch des-
halb immer mehr Marktanteile
in unseren Breitengraden gewin-
nen. Da fallen mir die Aussagen
von bekannten Haubenköchen
ein, die enormen Wert auf lang-
lebige Qualität und anhaltenden
Sitzkomfort legen – „mein Menü
dauert einige Stunden, wenn der
Gast danach noch bei einer Fla-
sche Wein sitzen bleibt, verdiene
ich erst (richtig)“. Ein bequemer
Stuhl unterstützt die umfassen-
de Zufriedenheit der Gäste. Fünf
bis sechs Stunden sitzen ist keine
Seltenheit, wenn da nicht alles
stimmt hat man nur den halben
Erfolg.
Dies gilt umso mehr für den
privaten Bereich, je länger der
Abend desto positiver bleibt er
in bleibender Erinnerung. Aber
auch desto öfter kommen die
Gäste – wenn das gewollt ist
(schmunzeln)? Sie sollten aller-
dings nicht den Fehler begehen
und nur mehr zu Hause essen
(zwecks der bequemen Stühle),
Sie sollten herausfinden, wer hat
noch „so behagliche“ Sitzgele-
genheiten.
Ein einladender Essplatz und
eine perfekte Küche verschmel-
zen zusehend zu einer organi-
schen Einheit, eine Herausfor-
derung auch an das begrenzte
Budget der Bauherr/innen. In
diesem Zusammenhang muss
ich für die einfallsreichen Mö-
belverkäufer/innen, die Einrich-
tungsplaner/innen eine Lanze
brechen. Manchmal ist es eine
Herkules-Aufgabe aus den un-
terschiedlichsten Vorgaben eine
adäquate Lösung zu finden. So-
zusagen die Problemlöser der
Nation, ohne Geselligkeit ist das
Leben halb so schön.
Einige Marken
verschwinden
Ich beobachte gerne den regi-
onalen Markt und stelle dabei
das bedauerliche Verschwinden
namhafter Marken und Herstel-
ler fest. Bei der Analyse der Pro-
bleme zeigt sich, dass bei vielen
neben strategischen Fehlern vor
allem auf den oben besprochenen
Wandel zu wenig geachtet wur-
de. Wer immer nur auf die Ver-
änderung reagiert, dem geht bald
die Luft aus um vorausschauend
zu agieren, also auf das persön-
liche Mitgestalten der ständigen
Erneuerung.
Als positives Beispiel aus Öster-
reich sei hier stellvertretend die
Firma Haas in Au an der Donau
»